Meine Reise nach Siebenbürgen is
t eine Reise in die Stille. Umso mehr als ich aus Buenos Aires komme, einer Stadt, die niemals schläft und ihre ganz eigene Geräuschkulisse hat. Für zwei Tage fahren
wir übers Land, durch deutsches, rumänisches und ungarisches Siedlungsgebiet. Besonders
im Gebiet der Szekler, dem ungarischen Stamm, dessen Herkunft sich im Dunkel der Geschichte verliert, entfaltet sich bäuerliches Leben, wie wir es nur noch aus Kinderbüchern oder historischen Darstellungen kennen. Am Rande Europas machen wir eine Zeitreise ins 19. und frühe 20. Jahrhundert. Störche nisten auf Kirchtürmen. Hinter den breiten, oft reich geschnitzten Toren der farbenfreudig angestrichenen Bauernhäuser ahnen wir Küchengärten unter Weinlauben. Pferdewagen bringen die Ernte auf holprigen Alleen ins Dorf. Ein Junge treibt eine Gänseschar vor sich her. Das Heu wird von Hand mit der Mistgabel aufgeladen. Am Straßenrand sitzen Frauen und verkaufen Kürtöskalacs, das zylinderförmige, ungarische Gebäck, das am Spieß über Feuer gebacken und dann in Zimt, Kokos ode anderem Süßem gerollt wird, und allerlei Eingemachtes. Eine Gruppe von Romas mit hohen schwarzen Kappen ist mit dem Eselwagen unterwegs.
Eingebettet in diese Bilderbuch-Landschaft sind die
Kirchenburgen. Einige der Wehrkirchen Siebenbürgens h
aben es mit ihrer einmaligen Verbindung von Kirche und schützendem Mauerring auf die Unesco-Liste des Weltkulturerbes gebracht. Der Name Siebenbürge
n wird mir hier erst anschaulich. Die sieben
Stühle mit ihren Burgen vereinigten sich zu dieser Provinz, der es bis in die Zeit der kommunistischen Herrschaft gelang, eine gewisse kommunale Eigenständigkeit zu bewahren. Die Landwirtschaft war noch in jüngster Zeit in den Nachbarschaften genossenschaftlich organisiert, bis zur gemeinsamen Dorfkasse für Feste und Beerdigungen. In den Kirchenburgen fand die Gemeinde in früheren Jahrhunderten Schutz vor den Türken- und Tatareneinfällen. Eine Karte verzeichnet mehr als 40 noch bestehende Kirchenburgen im Einzugsgebiet von Hermannstadt, Schäßburg und Kronstadt. Unmöglich, auch nur die schönsten in den zwei Tagen anzuschauen. So beschränken wir uns auf eine Auswahl zwischen besonders großen, typischen und kleineren, idyllisch abgelegen Wehrkirchen.
Zum Auftakt eine Unesco-geadelte Kirchenburg: Auf einem Hügel direkt hinter dem Gasthof Sachsenbischof ge
legen, ist die Kirche von Biertan/
Birthälm ein echtes Schau-ins-Land. Durch einen gedeckten Gang klettert man zur Kirche in ihrem doppelten Mauerring hinauf. Der Innenraum ist voller Schätze aus Hoch- und Spätmittelalter und früher Neuzeit: Aus Wien und Nürnberg kamen die Künstler, die im 15. Jahrhundert den prächtigen Flügelaltar gestalteten. Das Lindenholzschnitzwerk des Chorgestühls ist das Werk einheimischer Bildhauer aus Schäßburg. Eine Rarität das Sakristeiportal mit seiner spätgotischen Sandsteineinfassung und dem ausgeklügelten Schloss auf der Innenseite. Die Steintafel mit lateinischer Inschrift, die man bei Birthälm im Wald fand, belegt, dass es hier schon im 4. Jahrhundert Christen gab.
Anders als Birthälm liegt Malancrav/
Malmkrog fast versteckt zwischen üppigem Grün in seinem Mauerrringoval. In der Kirche mischen sich Elemente der Hoch- und Spätgotik, der Renaissance und des Barock zu einem harmonischen Gesamtbild. Besonders schön und gut erhalten die Fresken aus dem 14. und 15. Jahrhundert hinter und über dem gotischen Flügelaltar im Chor. Unter der Sakristei ruhen Mitglieder der Grundherren aus der ungarischen Adelsfamilie Apafi, der wir schon in Birthälm, wo ihr Trauben geschmücktes Wappen den Schlussstein des Chorgewölbes bildet, begegnet waren. Sie sollte später noch eine Überraschung für uns bereithalten.
Weiß leuchten uns Mauern und Türme von Viscri/
Deutsch-Weißkirch entgegen, als wir vom Dorf her zur An
höhe der Kirchenburg aufsteigen. Im Pfarrhaus sprechen wir wegen des Schlüssels vor. Eine Bauersfrau begleitet uns durch den Hain mit Kastanien und Linden am Fuß der Burg und schließt mit großem Schlüssel die Tür auf. Bis hinauf in die Turmspitzen können Schwindelfreie auf schmalen Leitern klettern. In den Kammern des gedeckten inneren Burgrings hat man ein volkskundliches Museum eingerichtet. Von der Decke hängt eine Speckseite, vielleicht als Wegzehrung für Besucher? Mitnichten! Sie demonstriert einen Brauch, der noch bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestand. Im kühlen Wehrgang bewahrten die Bauern der Gemeinde ihren Speck auf. Am Sonntag nach dem Kirchgang schnitt man sich das Stück für die kommende Woche von seiner – nummerierten – Speckseite ab. Der Herr Pfarrer stand daneben und wachte darüber, dass keiner sich heimlich vom Speck des Nachbarn bediente.
Weit vorgeschoben liegt am südöstlichen Rand von Siebenbürgen, im Burzenland, die große Burganlage von Prejmer/
Tartlau, eine Gründung des deutschen Ritterordens aus dem 13.
Jahrhundert. Wie Birthälm und Deutsch-Weißkirch wurde sie in die Unesco-Liste aufgenommen.Ihre Besonderheit ist die zu einer wahren kleinen Stadt innerhalb der Befestigung ausgebaute 5 Meter hohe und bis zu 14 Meter tiefe Umfassungsmauer. In dieser besonders von kriegerischen Scharmützeln geplagten Grenzlage an einem Pass fand der ganze Ort bei Bedarf in der Wehrkirche Platz und konnte in den rund 300 Kammern der Burg wohnen. Ein ausgeklügeltes System von Gängen über vier Etagen verbindet die Räume. Selbst eine Schule, mit alten Schulbänken, wie aus der Hasenschule möbliert, fand Platz. Über den äußeren Graben führt eine gedeckte steinerne Brücke mit Falltür, deren eiserne Zähne bedrohlich über dem Besucher schweben. Das Städtchen drum herum lässt noch das mittelalterliche Straßenmuster erkennen. Auf einem Dach gegenüber nistet ein Storchenpaar.
Im Kreis Kronstadt ist burgenmäßig überhaupt eine ganze Menge los. Von Weitem sichtbar liegt passend düster auf einer Bergspitze die angebliche Draculaburg
Bran, zu deutsch Törzburg.
Hier soll Graf Vlad Tepes, der Pfähler, gar nicht gelebt haben. Man konnte ihm die Vampirstory um so leichter andichten, als er schon vom Vater her den Beinamen Draculea hatte, was so viel wie zum Drachenorden gehörig bedeutete. Wir stürzen uns mutig ins Gewühl und finden sogar einen Parkplatz. Vorbei an den Verkaufsbuden mit allem, was das Herz begehrt, von Persianerkappen bis zu Vampir-T-Shirts, windet sich die Kassenschlange. Spanische, englische, französische, rumänische und deutsche Gesprächsfetzen rund herum. Wir kalkulieren, dass wir womöglich eine Stunde brauchen würden, um eine Eintrittskarte für die Burg zu ergattern und verzichten. Trösten können wir uns damit, dass Vlad möglicherweise nie dort war. Das Schloss gehörte zum Bestand von Kronstadt und wurde an die Nachkommen der rumänischen Königsfamilie, einem Zweig der Habsburgs, zurückgegeben, denen die Stadt es 1920 überlassen hatte. Die Royals vermarkten es nun touristisch und wollen es zum Dracula-Museum umgestalten.
Nahebei liegt ausgedehnt und vieltürmig wie eine befestigte Stadt auf einem Bergkegel die weitläufige Burganlage von Rasnov/
Rosenau und entschädigt uns für das verpasste Bran-Schloss. Dort klettern wir nun fröhlich herum und werden mit einem herrlichen Ausblick über das waldige Bergland Transsilvaniens belohnt. Burgenliebhaber kommen hier wahrlich auf ihre Kosten. Es gibt eigens einen Lageplan, damit man keinen Winkel versäumt. Auch das erschröckliche Skelett fehlt nicht. Kurz vor dem Ausgang grinst es aus einer glasbedeckten Vertiefung im Boden. Schön gruselig. Unten im Ort Rosenau erholen wir uns vom Burgenerklimmen in einem Gasthaus auf der Holzveranda im Innenhof und probieren rumänische Kuttelnsuppe mit Schmand.
Bildnachweise:Karte: Hermann Fabini, Cetati Bisericesti in Transilvania. ABF Monumenta. Sibiu 1998Sakristeitür Birthälm: Die Kirchenburg in Birthälm. Kurze Beschreibung. o.J., o.OKirche Malmkrog: Hermann Fabini, Die evangelische Kirche in Malmkrog. Baudenkmäler in Siebenbürgen. H.50. Honterus-Druck Sibiu
Kirche Deutsch-Weißkirch: Hermann und Alida Fabini, Kirchenburgen in Siebenbürgen. Koehler & Amelang. Berlin 1991Störche, Wehrgang, Schloss Bran: Mateo Urquijo