31. März 2010

Smartes Rankenwerk


Weit weniger gedankenschwer als bei der Bicentenario-Ausstellung im Palais de Glace, vielmehr mit smarter Unverbindlichkeit ging es vor einigen Tagen bei der Eröffnung einer neuen Kunstgalerie zu, für die ich nur ein paar Stufen zu gehen hatte. In meinem Haus, dem Belle Epoque-Gebäude La Inmobilaria an der Avenida de Mayo, bat Ignacio Liprandi zur Vernissage. Der zum Kunstsammler und -händler mutierte Finanzmensch hatte uns ein Jahr lang mit dem geräuschvollen Umbau seiner neuen Räume "erfreut". Nun war das Ergebnis zu besichtigen.

In der Flucht von blendend weißen, lichtdurchfluteten Räumen an der Plaza del Congreso traf sich tout Buenos Aires, besonders das junge hübsche. Für all die ranken Mädchen in ihren modegerechten Kinderkleidchen, die edlen jungen Wilden und die vornehm angegrauten Herren hatte Liprandi einiges Großformatige von Fabián Bercic aufgehängt. In der Kunst wie im Leben, zumindest der Anwesenden, herrschte das Ornament, natürlich ein wenig ironisch verfremdet. Verschlungene Plastikarabesken in Knallfarben rankten sich auf weißen Wänden oder vor einer scheinbar idyllischen Großlandschaft mit Schweinen und Hund.

Liprandis Bemühen wurde mit einer zweispaltigen Besprechung in der Literatur- und Kunstbeilage von Clarín, der größten Tageszeitung belohnt, denn der frischgebackene Galerist ist nicht irgendwer. Fast wäre er vor zwei Jahren oberster Kulturmanager der Stadt geworden. Der joviale Endvierziger versteht es, ein scharfes Auge und einen gesunden Geschäftssinn unter einer Miene entspannter Freundlichkeit zu verbergen. Als er vor ein paar Monaten einige Bilder in New York ausstellte, soll er dem Vernehmen nach alle verkauft haben.

Fotos: Clarín-Beilage N, 20.3.2010




Theorielastiges Bicentenario

Das Goethe Institut Buenos Aires konnte in der leicht übersättigten Kulturlandschaft der Capital Federal einen Coup landen. Im Doppelrund des Palais de Glace, dort wo vor 80 Jahrn die Jeunesse dorée Schlittschuh lief, baute es eine Ausstellung von Video- und anderen Installationen zum Bicentenario auf. Der 200-Jahr-Feier Argentiniens und seiner Nachbarländer gedenkt man hier mit neuester Programmkunst aus den Ländern Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Ekuador, Kolumbien, Mexiko, Paraguay, Peru, Uruguay sowie Venezuela und mit kritischem Rahmenwerk.

Bei letzterem treffen sich deutsche Gründlichkeit und lateinamerikanische Theoriefreudigkeit zu einem Erklärungsmarathon, das einem soziologisch-politologischen Oberseminar alle Ehre machen würde. Schon der Titel Menos tiempo que lugar kommt sperrig daher und bedarf eines ausführlichen Kommentars. Manche Werke entbehren nicht einer gewisssen Beliebigkeit und werden nur durch die beigegebenen Erklärungen auf Kurs gehalten, so die schön anzusehenden drei Kleider auf der Stange, die für die dreifach familiär eingebundene Frau stehen.

Andere erschließen sich unmittelbar. Wenn auf dem Bildschirm des mexikanischen Künstlers ein Polizeihubschrauber in der Luft steht, versteht man, wie omnipräsent und zugleich machtlos angesichts der ausufernden Drogenbanden-Kriminalität die Polizei in diesem geplagten Land ist. Die Fahrt mit dem Vorortzug Bartolomé Mitre , so pompös benannt wie heruntergekommen, durch die häßliche Stadtlandschaft von Buenos Aires an den Bahndämmen bedarf nicht der Zutat einer die Unabhängigkeitserklärung Simon Bolivars abschreibenden Künstlerin. Die Bilder sprechen für sich, und sie transportieren Tristesse. Die Fallhöhe zum Pathos der Gründer ist evident ohne derlei eher bemühte als gelungene Verknüpfungen. Die Fotos vom Camino del Inka lassen spüren, wie stark die präkolumbianischen Prägungen sind, die einige Länder teilen. Nicht über Folklore hinaus kommen dagegen die bolivianischen Frauen, die ständig bunte Wolle für ihre Webwaren aufwickeln oder der mit Federn geschmückte Indio im brasilianischen Amazonasgebiet. Schieres Agitprop ist die Endlostanzschleife eines Uruguayers mit einem Obama-Double. Zweifelhaft auch die Prozedur, die den Bewohnern eines Slums in Venezuela zugemutet wurde. Ohne Englisch zu können, lesen sie laut das schon erwähnte, englische Traktat von Bolivar.

In der Mitte hebt sich eine Treppe ins Nirgendwo. Die Himmelsleiter führt nicht zur Erlösung, und das Hier und Jetzt ist jämmerlich. Mit dieser kritischen Botschaft versuchen die Ausstellungsmacher das Bicentenario der Festansprachen zu unterlaufen.

Kurator Alfons Hug, der im vorigen Jahr mit einer ähnlich gedankenschweren Ausstellung zum Thema Klimawandel in Ushuaia am Fin del Mundo von sich reden machte, zeichnet verantwortlich. Er hat wohl auch vielen Künstlern bei ihren Einzelprojekten konzeptionell die Hand geführt, damit wir alles richtig verstehen. Wie sagte noch der alte Indianer? Hug: Ich habe gesprochen.
Fotos aus dem Prospekt der Ausstellung








26. März 2010

Chopin meets Dante

Der Countdown läuft. Am 25. Mai wird Argentinien als von der Kolonialmacht Spanien unabhängige Republik 200 Jahre alt. Für Vorfreude aufs Bicentenario ist gesorgt. Im ohnehin reich bestückten Kulturkalender von Buenos Aires gibt es nun attraktive Sonderveranstaltungen.

Gestern trafen sich zwei große Geister der Vergangenheit - virtuell. Im Edificio Barolo perlten Piano-Töne durch die riesige Eingangshalle bis hinauf zum Leuchtturm im 14. Stockwerk des ersten Hochhauses der Gründerzeit. Und Dante war dabei. Der italienische Architekt hat in dem Prachtbau zu Ehren seines berühmten Landsmannes vielfältig Themen aus der Divina Commedia verarbeitet. Die Wände der Halle zieren Zitate. Die schmiedeeisernen Gitterfahrstühle schweben vom Purgatorium in den Himmel, der etwas undantesk von den rot blinkenden Lichtern der Strom- und Fernsehmasten bestückt ist und sich über das chaotische Dächergewirr des Buenos Aires von heute spannt.

Die leichtfüßige Introduktion mit Phantasie, Scherzo und Ballade, vom jungen Tomás Alegre gespielt, steigerte sich über Mazurkas zum Crescendo der Großen Polonnaise Brillante unter den kraftvollen Händen von Elsa Puppulo und Martha Noguera. Jeder, der wollte, konnte hereinschlendern und zuhören, libro y gratuito, während sich ab und zu verspätete Angestellte aus den vielen Büros des Barolo auf ihrem Heimweg sachte durch die Menge schoben. So unzeremoniell kommt Kultur in Buenos Aires daher, das aber immer gekonnt.

21. März 2010

Der König lebt


Als Eugène Ionesco 1994 starb, titelte die ZEIT Der König stirbt und tat die späteren Stücke des franko-rumänischen Dramatikers, darunter auch Mörder ohne Bezahlung, als verstaubtes Ideentheater von Gestern ab.

In Buenos Aires widerlegt Regisseur Francisco Javier jetzt diese Behauptung mit einer zugleich schlanken und eindringlichen Inszenierung des Asasino sin salario. Javier hat viele Jahre als Theatermann in Paris verbracht und Ionesco gut gekannt. Mit Billigung des Autors hat er eine Bühnenfassung erarbeitet, in der das Stück von Nebenpersonal befreit und der Schlussmonolog des Protagonisten Bérenger, mit dem er gegen den Mörder /den Tod anredet, in einen mehrstimmigen Chor verlegt wird. Von den drei Hauptdarstellern - Bérenger, Architekt und Eduard - präzise und plastisch verkörpert, hat das Stück nichts von seiner Bedrohlichkeit verloren. Es hat aber an menschlicher Dimension gewonnen und ist alles andere als papierenes Ideentheater.

Anschließend erzählte der Regisseur im vollgepackten kleinen Theatersaal von seinen Begegnungen mit Ionesco. Seine Gedanken zum Stück und zu seiner Szenenversion hat Javier, der zugleich Theaterwissenschaftler ist, in einer lesenwerten Broschüre niedergelegt: Volver al principio, im Theater Actors Studio, Av. Díaz Vélez 3842, zu beziehen. Ein rundum gelungener Theaterabend, bei dem die zahlreichen jungen Zuschauer bewiesen, dass der König des absurden Theaters weiterlebt.

18. März 2010

In die schwarze Haut

Mit Bestürzung habe ich anlässlich der Vorbereitung eines Artikels über südafrikanische Literatur Antjie Krogs neues autobiographisches Buch Begging to be Black (2009) gelesen. Die afrikaanse Lyrikerin und frühere Antiapartheid-Aktivistin stellt darin die These auf, dass die weiße Bevölkerug sich bemühen müsse, gleichsam in die schwarze Haut zu schlüpfen und ihr westliches Denken hinter sich zu lassen, um ein richtiger Teil des Landes zu werden.

Welche Konsequenzen dieser romantisch-naive Philonegrismus hat, zeigt sich z.B. in der Aussage, sie wolle Robert Mugabe aus afrikanischer Sicht verstehen lernen. Was sie damit meint, bleibt ihr Geheimnis. Es liegt allerdings nahe, dass Antjie den Despoten Simbabwes mit Kolonialismusfolgen entschuldigen will, eine Argumentation, die er selbst ständig benutzt, um Missstände wegzuerklären. Für den Staatsterror in Simbabwe, ein Land das am Abgrund taumelt, gibt es eine menschliche, politische oder wirtschaftliche Betrachtungsweise, jedoch keine afrikanische. So wie es durchaus vereinbar ist, sich als Deutscher für die Judenvernichtung verantwortlich zu fühlen ohne der heutigen Politik Israels kritiklos gegenüberzustehen, so muss es auch in Südafrika möglich sein, als weißer Bürger des Landes an der Regierung Kritik zu üben. Der von Antjie Krog propagierte, sozusagen invertierte Rassismus ist gefährlich und hilft ihrem Land wenig.

Wie anders als Antjie Krog dagegen die Haltung eines anderen afrikaansen Dichters, der als Antiapartheid-Kämpfer jahrelang im Gefängnis sass. Breyten Breytenbach hat dieser Tage heftige Kritik an der schamlosen Selbstbereicherung der herrschenden Elite geübt und sie an die Werte der Kampfzeit, an Solidarität und Idealismus, erinnert.

Wie anders auch die Handlungen der ebenfalls im Antiapartheid-Kampf aktiv gewesenen Politikerin Helen Zille mit deutsch-jüdischen Wurzeln, die sich als Oppositionsführerin und Ministerpräsidentin der Provinz Westkap für ihr Land praktisch engagiert, ohne in irgendeine andere Haut schlüpfen zu wollen. Im Gegenteil, das Völkergemisch Südafrikas, einschließlich britischstämmiger und afrikaanser Weißer, ist sein Reichtum.
Zeichnung Anton Vermeulen, Rapport, Johnnesburg 28.11.2009



9. März 2010

Das Erdbeben von Chili - real

Während ein neues schlimmes Beben die Türkei heimgesucht hat, leidet Südamerika weiter mit den Chilenen angesichts des Ausmasses der Naturkatastrophe und der gigantischen Aufbauarbeit. Auch eine Hoffnung scheint zu zerbrechen. Besorgt fragt man sich in Argentinien, ob Chiles ehrgeiziges Ziel, 2018 zu den Ländern der 1. Welt aufzuschließen und damit eine Vorreiterrolle für ganz Südamerika zu übernehmen, noch erreichbar sein wird.
Anders als Kleist, der seine dramatische Erzählung Das Erdbeben von Chili in St. Jago, dem heutgen Santiago von 1647 spielen lässt, wurde der bekannte mexikanische Schrifsteller Juan Villoro vom wirklichen Beben des Jahres 2010 in Santiago überrascht und überschreibt seinen Augenzeugenbericht, in La Nación vom 6.3. 2010 abgedruckt, El sabor de la muerte, Der Geschmack des Todes:
Während zweier endloser Minuten warf die Erschütterung Flaschen, Bücher und das Fernsehgerät um. Das Gebäude (des Hotels) neigte sich, und durch die Wand konnte ich Schreie hören... Ich würde aus der Welt in einem Bett verschwinden, das nicht meines ist, aber meine Familie (zuhause in Mexico City) war sicher. Angst und Ruhe schienen mir eins zu sein. Etwas fiel vom Dach, und ich hatte im Mund einen beißenden Geschmack. Es war Staub, der Geschmack des Todes... Als das Beben aufhörte, überkam mich ein Gefühl von Unwirklichkeit. Ich stellte mich auf die Füße, mit der Dünung, wie ein Seemann auf der Erde. Es war nicht normal, lebendig zu sein. Die Seele kehrte nicht in den Körper zurück...

Die Besatzung des chilenischen Segelschulschiffes Esmeralda - gerade mit der Südamerika-Regatta im Hafen von Buenos Aires - erlebte die Angst von Ferne, die Angst um Familie und Freunde. Es war eine fürchterliche Angst, sagte Kapitänleutnant Rodrigo Feldestedt. Mein Haus stand gegenüber dem Strand, und ich fürchtete das Schlimmste. Aber als ich wusste, dass meine ganze Familie gerettet war, machte es mir nichts aus, dass der Tsunami sich bis an die Fenster meines Hauses gehoben hatte.

Nicht nur dieses Haus liegt in Trümmern. Zahllose Menschen sind obdachlos geworden. Häuser, Schulen, Krankenhäuser und Straßen müssen wieder aufgebaut werden. Die deutschen Hilfsorganisationen haben die Aktion Deutschland hilft ins Leben gerufen und bitten um Spenden für Menschen in Chile: Stichwort Erdbeben Chile, Spendenkonto 10 20 30, Bank für Sozialwirtschaft BLZ 370 205 00

Foto: La Nación, 4.3.2010












8. März 2010

Märchenland mit Segelschiffen

Das kühle, brandneue Viertel Puerto Madeiro an den schick umgebauten ehemaligen Docks des alten Hafens war gestern abend wie verzaubert. Segelschulschiffe aus den meisten südamerikanischen Ländern und aus den Mutterländern Spanien und Portugal trafen sich auf ihrem Weg von Rio de Janeiro über Montevideo im Hafen von Buenos Aires bevor es weiter nach Ushuaia und ums Kap Hoorn geht und schließlich nach Vera Cruz in Mexiko. 200 Jahre Unabhängigkeit von den iberischen Kolonialmächten feiern die Marineschiffe aus Mexiko, Venezuela, Kolumbien, Ekuador, Brasilien, Uruguay, Chile, Peru und nicht zuletzt Argentinien mit ihrer festlichen Regatta Velas Sudamérica 2010.
Ich schiebe mich durch eine fröhliche Menge von Sonntagsausflüglern, die alle Schiffe beklatschen, vor allem die Libertad ihres eigenen Landes und, aus Solidarität mit dem vom Erdbeben heimgesuchten Nachbarn, die Esmeralda aus Chile. Vor jedem Schiff stehen lange Schlangen, denn alle können besichtigt werden. Nicht nur die Gallionsfiguren und Flaggen halten Ehrenwache, auch die Besatzungen in ihren blütenweißen Galauniformen grüßen die Besucher. Eines ist schöner, schlanker, prächtiger als das andere. Hoch ragen die Masten auf.
Es ist ein goßartiger Anblick, diese eleganten Segler in so großer Anzahl versammelt zu sehen. In einem Zelt zeigt Argentinien seine Marinegeschichte in einer Ausstellung von Schiffsmodellen und Schlachtgemälden, allen voran Porträt und Schiff von Almirante Guillermo Brown, dem verehrten irischstämmigen Admiral aus den Befreiungskämpfen.

Puerto Madero, das schon an normalen Abenden mit seinen angestrahlten Hochhaustürmen und historischen Baukränen strahlt, zeigt sich heute abend als Märchenland. Die beleuchteten Maste der Schiffe spiegeln sich in den Fenstern der Hochhäuser, die Frauenbrücke mit ihrer kühn geschwungenen Nadelspitze wird in allen Regenbogenfarben angestrahlt, und von einem Restaurantschiff hallen Openarien über die diques, die schmalen Hafenbecken vor den Lagerhäusern. Vergnügt schlendern ganze Familien mit Urahne, Mutter und Kind an all der leuchtenden Pracht vorbei und kehren schließlich spät am Abend in eines der unzähligen Restaurants dieses Vorzeigeviertels zu einem, für unsere Verhältnisse, nächtlichen Abendessen ein. Puerto Madero ist heute nicht das Nobelviertel, dem man nachsagt, es sei die größte Geldwäscheanlage Südamerikas. Es ist für alle da, zum Staunen und Genießen.
Für das Foto danke ich Florence Konzcewska

7. März 2010

Buenos Aires tanzt

Der Sommer neigt sich dem Ende zu, und so hat sich die rührige Kulturverwaltung von Buenos Aires etwas Schönes ausgedacht. Als Finissage ihres kostenlosen Sommer-Kulturprogramms Aires Buenos Aires, das die Daheimgebliebenen in den Ferienmonaten Januar und Februar genießen konnten, gibt es einen öffentlichen Tangoabend rund um den Obdelisken.

Das Wetter spielt zwar nicht so ganz mit. Es nieselt ab und zu ein wenig. Das hält die Portenos aber nicht davon ab, das Tanzbein zu schwingen. Jung und Alt sind auf den Beinen und tanzen gekonnt und beschwingt auf der ihrer festen Meinung nach größten Avenida der Welt, der 9 de Julio, rund um ihr städtisches Wahrzeichen in die Spätsommernacht hinein. Sie brauchen keine teure Tangoshow für Touristen. Sie machen es selbst, und das nicht nur mit Gefühl, sondern auch mit Können, sozusagen artesanal, kunstfertig. Da möchte man gerne mittanzen. Die wenigen Touristen genieren sich aber deutlich, können sie es doch weit weniger gut als die Einheimischen, die ihnen eine spontane Tangoshow der Sonderklasse bieten, kostenlos.
Foto: La Nación, 21.2.2010

1. März 2010

Gegenwind


Heute brauche ich wieder einmal Ohrenschützer, bekomme aber auch viel Spektakel zu sehen. Der Kongress tanzt nicht, er bietet Paroli. Zur Eröffnung der neuen Sitzungsperiode ist äußerlich alles wie gehabt. Schon am Vorabend sind die Straßen um das Parlamentsgebäude weiträumig abgesperrt worden. Morgens weckt mich das zornige Hupkonzert der Autofahrer, die sich alle durch nur eine enge Straße zwängen müssen. Gegen 9.00 probieren die Techniker den Lautsprecher aus, der später die Rede der Präsidentin über den Platz schallen lassen soll. Dann schalten sie auf Musik um, und alles dröhnt und bebt. In den zwei Stunden bis zur Eröffnung um 11.00 ist genug Zeit für die bestellten, regierungstreuen Demonstranten, ihre Transparente aufzufahren und die Trommeln wirbeln zu lassen. Spontan begeisterte Zuschauer machen sich dagegen rar, denn der Beliebtheitspegel von Cristina Fernandez de Kirchner nähert sich dank ihrer unversöhnlichen Konfrontationspolitik, mit der sie fast alle gesellschaftlichen Gruppen verärget hat, neuen Tiefstwerten.

Auch die Reiterstaffel auf ihren glänzenden Rössern und in ihren schmucken Uniformen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Regierung in der nächsten Sitzungsperiode der Wind ins Gesicht blasen wird, hat sie doch in beiden Häusern die Mehrheit verloren. In der Ansprache der Präsidentin ist viel von der Hilfe Argentiniens für das vom Erdbeben heimgesuchte Nachbarland Chile die Rede, dann viel von nuestra patria, unserem Vaterland, und schließlich von der Notwendigkeit, dass alle mit der Regierung kooperieren. Leider übersetzt sich Kooperation, so wie sie die Kirchner-Regierung versteht, in blinden Gehorsam. Doch damit dürfte es vorbei sein.