Am nächsten Abend gehen wir in die Stadtpfarrkirche zum Kammerkonzert. Der große Kirchenraum ist fast voll. Sachsen mischen sich mit Touristen. Neben mir eine Französin auf Entdeckungsreise durch Rumänien. Hinterher kommt Sophies Nachbarin Hedda noch zu uns, zu herzlichem Plausch über Land und Leute. Die gebürtige Hermannstädter Sächsin singt im Kirchenchor mit und unterrichtet am Kunstgymnasium. Nach Jahren im größeren Cluj-Napoca/Klausenburg rund 175 km nördlich ist sie in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. In Klausenburg war es ihr zu laut und unübersichtlich. Ihr Geburthaus in der Altstadt hat sie verkauft und ist in eine moderne Wohnung in der Unterstadt gezogen. In Hermannstadt lässt es sich gut leben, ist Hedda überzeugt. Keine Hektik und gute Nachbarschaft. In der deutschen Gemeinde kennt jeder jeden, aber auch mit den anderen Rumänen kommt sie gut aus. Das ist wohl nicht immer so. Das Verhältnis ist nicht frei von lang gehegten und gepflegten Animositäten. Bei den Rumänen gelten die Sachsen als hochnäsig und bossy, während diese die rumänischen Landsleute als laut und unzuverlässig empfinden. Der unterschiedliche Glaube, Protestanten die Einen, rumänisch-orthodox die Anderen, tut ein Übriges. Am Rand der Oberstadt dominiert die orthodoxe Kathedrale das Stadtbild, ebenso groß wie die Stadtpfarrkirche und doch so anders. Dort gotisches Aufstreben außen und karge Strenge innen, hier vom Gold der Ikonen durchwirktes geheimnisvolles Dunkel im Innenraum mit byzantinischen Kuppeln und Türmen im äußeren Erscheinungsbild. Irgendwo dazwischen die größte Minderheit in Rumänien, die Ungarn. Knapp hundert Jahre ist es her, dass der Westen Rumäniens der Osten Ungarns war. So fühlen sich viele ungarischstämmige Rumänen, ähnlich wie die Südtiroler in Italien, immer noch ihrem alten Heimatland mehr verbunden als ihrem neuen. Für die Sachsen ist neben Deutschland Österreich ein Bezugspunkt. Hedda will in den Ferien nach Wien fahren, wo ihre Tochter studiert.
Auf der Terrasse des Continentalhotels, eines der erstaunlich vielen großen und modernen Hotels am Rande des Zentrums, die um Touristen und Geschäftsreisende konkurrieren, treffen wir uns mit Silvia Machein. Die Lektorin vermittelt an der Hermannstädter Universität deutsche Sprache, Literatur und Landeskunde mit Engagement und Begeisterung. Mit lebensnahen Themen versucht sie, das Interesse am heutigen Deutschland zu wecken. Erfahrung mit dem ost-westlichen Brückenbau bringt Silvia schon aus ihrer vorherigen Lehrtätigkeit in Litauen mit. Sie kann in Hermannstadt aus einem Reservoir von in deutschen Schulen ausgebildeten Studenten schöpfen. Natürlich studieren nicht alle schöne Literatur. Karriereträchtige Fächer wie Wirtschaftswissenschaften locken.
Nahe der Piata Mare erwartet uns in einem alten Gebäude mit herrlicher Freitreppe und einem großen Saal mit von Säulen getragenen Gewölbedecken Anca Mihulet. Die junge Kunsthistorikerin und Kuratorin an der Galerie für Zeitgenössische Kunst des Brukenthal-Nationalmuseums betreut als Mitarbeiterin der leitenden Kuratorin Liviana Dan jährlich mehr als 15 Ausstellungen aktueller Kunst. Das ist oft ein Spagat zwischen Unterfinanzierung und noch recht traditionellem Kunstverständnis der Hermannstädter Gesellschaft, der aber letztlich immer wieder zu gelingen scheint, wobei deutsche Kulturinstitutionen gelegentlich Hilfestellung leisten. Mit Begeisterung führt Anca uns durch die aktuelle Ausstellung dreier höchst verschiedener rumänischer Künstler. Von verspielt-witzigen Zeichnungen bis zu verstörenden Fotos aus der jüngsten Vergangenheit reicht das Spektrum. Wir sprechen von den vielen schönen alten Häusern und dem reichen Kulturerbe der Stadt. Anca ist es wohl manchmal zuviel an Altem und an Nostalgie. Sie setzt sich für das Neue ein, jedenfalls in der Kunst.
Aus vielen Gesprächen, auch mit in der Wirtschaft Tätigen, ensteht der Eindruck, dass die Strukturen in Verwaltung und Politik noch recht verkrustet sind. Hierarchiedenken und viel Bürokratie sind wohl ein Erbe des alten Regimes. Die Zeit, in der Einzelne nichts zu melden hatten und über alles der Staat oder die Partei entschied, ist nicht lange her. So steckt man auch heute nicht gerne den Kopf heraus und fragt lieber erst einen Vorgesetzten, ehe man selbst eine Entscheidung trifft. Doch erhoben sich auch Hermannstädter Bürger 1989 gegen das Ceausescu-Regime. Man kann noch Einschusslöcher sehen, und 89 Hermannstädter ließen ihr Leben.
Bildnachweis: Sibiu / Hermannstadt. Honterus-Verlag 2006 (Panorama mit orthodoxer Kathedrale)
26. August 2009
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