
Auf der Terrasse des Continentalhotels, eines der erstaunlich vielen großen und modernen Hotels am Rande des Zentrums, die um Touristen und Geschäftsreisende konkurrieren, treffen wir uns mit Silvia Machein. Die Lektorin vermittelt an der Hermannstädter Universität deutsche Sprache, Literatur und Landeskunde mit Engagement und Begeisterung. Mit lebensnahen Themen versucht sie, das Interesse am heutigen Deutschland zu wecken. Erfahrung mit dem ost-westlichen Brückenbau bringt Silvia schon aus ihrer vorherigen Lehrtätigkeit in Litauen mit. Sie kann in Hermannstadt aus einem Reservoir von in deutschen Schulen ausgebildeten Studenten schöpfen. Natürlich studieren nicht alle schöne Literatur. Karriereträchtige Fächer wie Wirtschaftswissenschaften locken.
Nahe der Piata Mare erwartet uns in einem alten Gebäude mit herrlicher Freitreppe und einem großen Saal mit von Säulen getragenen Gewölbedecken Anca Mihulet. Die junge Kunsthistorikerin und Kuratorin an der Galerie für Zeitgenössische Kunst des Brukenthal-Nationalmuseums betreut als Mitarbeiterin der leitenden Kuratorin Liviana Dan jährlich mehr als 15 Ausstellungen aktueller Kunst. Das ist oft ein Spagat zwischen Unterfinanzierung und noch recht traditionellem Kunstverständnis der Hermannstädter Gesellschaft, der aber letztlich immer wieder zu gelingen scheint, wobei deutsche Kulturinstitutionen gelegentlich Hilfestellung leisten. Mit Begeisterung führt Anca uns durch die aktuelle Ausstellung dreier höchst verschiedener rumänischer Künstler. Von verspielt-witzigen Zeichnungen bis zu verstörenden Fotos aus der jüngsten Vergangenheit reicht das Spektrum. Wir sprechen von den vielen schönen alten Häusern und dem reichen Kulturerbe der Stadt. Anca ist es wohl manchmal zuviel an Altem und an Nostalgie. Sie setzt sich für das Neue ein, jedenfalls in der Kunst.
Aus vielen Gesprächen, auch mit in der Wirtschaft Tätigen, ensteht der Eindruck, dass die Strukturen in Verwaltung und Politik noch recht verkrustet sind. Hierarchiedenken und viel Bürokratie sind wohl ein Erbe des alten Regimes. Die Zeit, in der Einzelne nichts zu melden hatten und über alles der Staat oder die Partei entschied, ist nicht lange her. So steckt man auch heute nicht gerne den Kopf heraus und fragt lieber erst einen Vorgesetzten, ehe man selbst eine Entscheidung trifft. Doch erhoben sich auch Hermannstädter Bürger 1989 gegen das Ceausescu-Regime. Man kann noch Einschusslöcher sehen, und 89 Hermannstädter ließen ihr Leben.
Bildnachweis: Sibiu / Hermannstadt. Honterus-Verlag 2006 (Panorama mit orthodoxer Kathedrale)
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