11. Januar 2010

Argentinische Dramen

Sandro ist tot. Der argentinische Schnulzensänger, genannt El Gitano, weil er ein wenig Zigeunerblut in den Adern gehabt haben soll, hatte sich in die Herzen vor allem der Frauen gesungen. So wurde er wie einst Evita in der Sala de los Pasos Perdidos, dem Saal der verlorenen Schritte, im Kongressgebäude aufbewahrt und fast alle, alle kamen, um an Sandros Sarg vorbei zu defilieren. Die Trauergemeinde zählte nach Tausenden. Der argentinische Elvis wurde betrauert. Der Amigo del Puma hatte die gleiche sinnliche Ausstrahlung, die Samtstimme und den Hüftschswung. Alle Zeitungen brachten Sonderbeilagen, auch die seriöse alte Dame La Nación, obwohl sie sich im nach hinein über den Sandro-Hype mokierte.

Für ein Drama anderer Art sorgte wenige Tage später die Politik. Per Notverordnung ohne dass irgendeine Not diese Maßnahme rechtfertigen würde, will Präsidentin Christina Kirchner die Reserven der Zentralbank für Schuldentilgung umwidmen, also das Tafelsilber des Landes verscherbeln. Als sich Bankchef Martín Redrado dem mutig widersetzte wurde er abgesetzt, und sein Vertreter berufen. Dem wiederum schob eine andere mutige Bürgerin, die Richterin María José Sarmiento, per Gerichtsbeschluss einen Riegel vor. Sie erklärte die Notverordnung für nichtig und setzte Redrado wieder ein. Seit einigen Tagen gibt es nun zwei Zentralbankpräsidenten. Die Richterin wird derweil massiv eingeschüchtert. Diese schlimmen undemokratischen Machenschaften gingen bisher an der Volksvertretung vorbei. Der Kongress scheint nur noch dazu gut zu sein, als Weihestätte für verblichene Schlagersänger zu dienen. Mit dem Ellbogen kann die Präsidentin die Kongresskuppel einfach umwerfen. Hat da jemand etwas von Brot und Spielen gemurmelt?

Karikaturen: La Nación vom 5. und 8.1.2010

1. Januar 2010

Die drei Leben der Feuerland / Penelope

www.segeln-magazin.de 1/2010

Text Edith Werner

Von Büsum nach Büsum ist die alte Dame geschippert. Dazwischen liegen Tausende von Seemeilen bis Feuerland und zu den Falkland-Inseln, ein Namenswechsel und ein Kriegseinsatz. Gut 80 Jahre und eine bewegte Vergangenheit hat das Schiff auf dem Buckel. Zum Leben erweckt wurde es von Günther Plüschow, dem Abenteurer und Flugpionier.

„Die Sonne lässt alles in so wunderbaren, märchenhaft schönen Farben leuchten…, mit ganzer Wucht überfällt mich die Stille…als beträte ich einen mächtigen Dom…dies ist mein Feuerland, dies ist mein Traum.“ Günther Plüschow ist angekommen, endlich. Das Ziel, Feuerland, erreicht. Es ist zugleich der Höhepunkt des ersten Lebens des Schiffes, das ihn hierher getragen hat.

Der da so wortgewaltig schwelgt, ist in Deutschland kein Unbekannter, im Gegenteil. Der Fliegerleutnant erregte im Ersten Weltkrieg mit seinen tollkühnen Eskapaden Aufsehen. Nicht nur schaffte er es, mit seiner Transportmaschine in der von den Alliierten abgeriegelten deutschen Kolonie Tsingtao in China zu landen. Er war auch der einzige deutsche Kriegsgefangene, dem später die Flucht aus England gelang. Sein Bericht „Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau“ wurde ein Bestseller.

Und nun giert er nach noch mehr Ruhm. Er gewinnt den Ullstein-Verlag, ihm eine Expeditionsreise nach Feuerland zu finanzieren. Mit der Reise erfüllt er sich einen Kindheitstraum. „Ich möchte nach Feuerland, seine Küsten mit einem Segelschiff und sein Territorium vom Flugzeug aus erforschen, ein Buch schreiben und einen Film drehen, damit die ganze Welt die außerordentliche Schönheit dieser Gegend kennenlernen kann“, umreißt er sein Programm.

Auf der Büsumer Werft Krämer, Vagt und Beckmann lässt Plüschow sich einen hochsee­tüchtigen Kutter, eine zweimastige Ketsch, bauen, dessen Rumpf verstärkt wird, um rauen Wassern und Treibeis am Kap Hoorn standhalten zu können. Feuerland tauft er sein Schiff. Am 27. November 1927 heißt es Leinen los Richtung Finis Terrae. Über Brasilien, wo Plüschow ganz nebenbei einen unbekannten Indianerstamm entdeckt, und Buenos Aires langt die Feuerland nach einem Jahr in Ushuaia an und fährt weiter durch die Magellanstraße nach Punta Arenas im chilenischen Patagonien. Das nur gut 16 x 4 Meter große Schiff hat sich als seetüchtig erwiesen.

Plüschow macht sich auch als Flugpionier einen Namen. Jahre vor Saint Exupery überfliegt er mit seinem Wasserflugzeug Silberkondor 1928/29 als erster Tierra del Fuego und die patagonischen Anden und macht Luftaufnahmen. Die Feuerland dient ihm dabei als Tankschiff. Doch lange kann sich Plüschow an ihr nicht erfreuen. In Geldnöte geraten, muss er die ‚Holzpantine‘, wie er sie liebevoll nennt, schon 1929 verkaufen. Der zweite Eigner ist ihrer durchaus würdig. John Hamilton, schottischer Einwanderer auf den Falklandinseln, ist erfolgreicher Farmer und Geschäftsmann mit Besitzungen auch in Argentinien und Chile. Mit seinem Unter­nehmungsgeist sorgte er für den wirtschaftlichen Aufschwung der Inseln.

Plüschow unterdessen wird seine Flugleidenschaft zum Verhängnis. 1931 verunglückt er in Argentinien tödlich. In Südamerika wird er verehrt. Ein Gletscher in Patagonien und ein Platz in Punta Arenas tragen seinen Namen. Nahe der Absturzstelle am Lago Argentino erinnert ein Denkmal an den Seefahrer und Flieger. Ein Modell seines Flugzeugs steht in Ushuaia, und eine Fotoausstellung dokumentierte kürzlich in Chile und Argentinien Leben und Werk.

Zu Ehren von Hamiltons Tochter in Penelope umgetauft, beginnt die Ketsch derweil ihr zweites Leben. Jahrzehnte lang tut sie als Transportschiff Dienst. Sie bringt land­wirtschaftliche Produkte, Schafe, Ziegen und Guanakos vom Falklandhafen Stanley auf andere Inseln und aufs Festland, versorgt abgelegene Farmen und transportiert, inzwischen im Besitz der Falkland Island Company (FIC), Ausrüstungen und Baumaterial: ein Beitrag zum Ausbau der Infrastruktur. In späteren Jahren setzt man die betagte Dame nicht mehr für längere Fahrten und große Lasten ein. Bis in die 90er Jahre dient sie aber noch wissenschaftlichen Zwecken. Zwischen den Inseln schippert sie Ornithologen hin und her. Eine Bestandsaufnahme aller einheimischen Vogelarten ist Frucht dieser Zeit.

Ein Intermezzo von wenigen Monaten ist ihr drittes und gefährlichstes Leben. 1982 wird die Penelope für den Kriegsdienst im Falklandkrieg eingesetzt. Die argentinische Besatzungs­macht requiriert das Schiff. So muss es – mit schwarzem Tarnanstrich – Verwundete und Treibstoff befördern und gerät unter Beschuss. Wieder hat die Penelope Glück, denn einer aus der Mannschaft, der blutjunge Rekrut Roberto Herrscher, schreibt später seine und seiner Kameraden Kriegserlebnisse auf. Der Sohn deutsch-jüdischer Einwanderer schildert in seinem Buch „Los Viajes del Penelope“ eindringlich die Schrecken, aber auch die menschlich bereichernden Erfahrungen in diesem kleinen Krieg, der für seine Teilnehmer ein großer war. Die Nussschale Penelope wurde der Mannschaft zum Refugium.

Argentinien verlor den Krieg und gab die Penelope der FIC unbeschadet zurück. Nun konnte sie wieder ihr Leben als friedliches Transportschiff aufnehmen. Sie war jetzt schon betagt, hatte zwei Herztransplantationen hinter sich: Der alte Deutz-Motor tat es nicht mehr. Eines Tages wäre sie wohl ausgemustert worden. Doch erneut hatte sie Glück. Kapitän Bernd Buchner sah die Penelope 2006 auf einer Reise, erkannte ihren schiffshistorischen Wert und tauschte sie gegen einen anderen Kutter ein.

Es gelingt ihm, die Ketsch klar zu machen und mit ihr bis Buenos Aires zu segeln, kleine 1.800 Seemeilen. Dort bekommt sie einen großen Bahnhof. Alle Blätter berichten vom ihrem ungewöhnlichen Schicksal. Buchner lädt die einstige Kriegsmannschaft ein, auf ihrem Boot noch einmal zusammenzukommen. „Ich habe das Schiff, das ein wenig Sicherheit in einer Extremsituation bot, liebgewonnen“, gesteht Herrscher, und Guillermo Ni Coló küsst die Planken, als er die Penelope wieder betritt.

Für die Fahrt nach Deutschland, reicht die Kraft der alten Dame nicht mehr. So wird sie auf einem Frachter der Reederei Hamburg Süd in ihren Heimathafen Büsum verschifft. Auch hier großer Empfang. „Ein Mythos kehrt heim“, titelt „Die Welt“. Zurzeit hält der in Feuerland zurück getaufte Kutter sich für eine Verjüngungskur in Hamburg auf. Ein Förderkreis um Bernd und Carola Buchner arbeitet zusammen mit dem Verein „Jugend in Arbeit“ daran, dass es ein gutes Nachspiel gibt und das Traditionsschiff in einem weiteren Leben von deutsch-englisch-südamerikanischer Seefahrtgeschichte erzählen kann. „Wir werden das Schiff bis 2010 wieder zum Segeln bringen“, ist sich Buchner sicher. Dann hat der Hamburger Hafen seinen 821. Geburtstag, und Argentinien und Chile, die Zielländer von Plüschows Feuerland, feiern ihr 200jähriges Bestehen.