28. August 2009

Stille Tage in Siebenbürgen - Landpartie 2

Kirchenburgen-Hopping macht hungrig und durstig. So klopft meine landes- und sprachkundige Tochter einfach an einem Hoftor in Deutsch-Weißkirch. Ihr wird aufgetan. Wir betreten einen der üppig mit Blumen und Weinranken eingewachsenen Höfe, auf die ich schon während der Fahrt sehnsuchtsvolle Blicke geworfen hatte. Die Bauersfrau kommt mit einem hoch beladenen Karton heraus. Große Überraschung: Sie bringt unser (vorbestelltes) Picknick. Gegenüber sehen wir einen der Ziehbrunnen mit dem hohen hölzernen Pumpenschwengel, wie man sie von Puszta-Bildern kennt. Unterwegs hatten wir Frauen an einem Bach Wäsche waschen gesehen. Die Dorfidylle muss wohl vorerst noch ohne fließendes Wasser auskommen.

Nach halbstündiger Fahrt auf Landstraßen und Feldwegen biegen wir bei Malmkrog in einen Park ein und landen vor einem frisch renovierten in gelb und weiß leuchtendem Herrenhaus. Es gehörte früher der Familie Apafi, deren Spuren wir in den Kirchen von Birthälm und Malmkrog begegnet waren. Hier auf einem Steintisch unter alten Bäumen ist der rechte Platz fürs Picknicken. Nur das Getränk fehlt noch. Auch dafür gibt es Abhilfe im Apafi-Anwesen. Vorbei an Wiesen voller Apfelbäume schlendern wir zu einem Schuppen mit Paletten davor. Hier wird der naturtrübe, köstlich säuerliche Apfelsaft hergestellt, den es in Hermannstadt im Restaurant gibt. Der junge Manager will offenbar nicht Rumänisch angesprochen werden. Barsch fordert er uns auf, mit ihm Englisch oder Deutsch zu reden. Sicher ist er bannig stolz darauf, ein Vertreter des Mihai Eminescu Trusts (MET) zu sein. Diese englische NGO hat es sich - mit allerhöchstem Segen von Prinz Charles - zur Aufgabe gesetzt, die gewachsene ländliche Struktur Siebenbürgens zu erhalten. So hilft man, Häuser zu restaurieren und fördert kommerzielle landwirtschaftliche Initiativen nach dem Muster Hilfe zur Selbsthilfe. Namensgeber ist der rumänische Schriftsteller des ausgehenden 19. Jahrhunderts, ein nationalkonservativer Romantiker. Auf Anregung und Anschubfinanzierung des Trusts geht sowohl die Zubereitung von Picknicks für Touristen als auch die Erhaltung alter Apfelsorten zurück. Die Apafi-Villa hat man gekauft und als Gästehaus hergerichtet. In Dörfern wie Deutsch-Weißkirch und Malmkrog hängt an vielen der hübsch hergerichteten Bauernhäuser das Schild des Trusts. Der Apfelsaft-Manager reicht uns an einen Mitarbeiter weiter, der uns herumführt. 30.000 Flaschen können sie in diesem Jahr abfüllen, aus der Ernte von 80 Hektar Apfelbäumen mit alten Sorten wie verschiedenen Renetten, Goldparmänen und Boskop. Im nächsten Jahr sollen es mehr werden. Man habe erst vor einem halben Jahr vom vorigen Manager übernommen und hoffe den Ertrag der teilweise verwilderten Bäume noch verbessern zu können.

Für den Nachmittag steht dank dem Trust und Sophies Findigkeit eine weitere Überraschung auf dem Programm. Zurück in Deutsch-Weißkirch halten wir vor einem zartgrün angestrichenen Gehöft, vor dem ein Pferd mit Fohlen weidet. Bauer Mihai kommt heraus und spannt die Stute Codruta vor einen offenen Holzwagen. Wir steigen ein und los geht’s durch die stille Bauernlandschaft, durch Alleen und über Felder. Das Fohlen läuft mit. Ziel ist in einem Wäldchen nahe beim Dorf die Ziegelei, ein weiteres MET-Projekt. Schon in alter Zeit hat es hier eine Ziegelei gegeben. Nun ist die Handwerkstechnik wiederbelebt worden. Ein wettergegerbter Mittfünfziger mit lebhaften schwarzen Augen empfängt uns und zeigt uns, wie hier Lehmziegel mit einem Holzmodel von Hand hergestellt und in den Kammern des Brennofen gebrannt werden. Wir klettern auf den Ofen und schauen von oben auf die geschichteten Ziegel. 4 Tage müssen sie brennen – währenddessen muss das Holzfeuer ständig unterhalten werden – und einen Tag auskühlen. Ewa 10% ist Ausschuss. 5.000 Ziegel passen in den Ofen. Abnehmer ist hauptsächlich der Trust für seine Bauprojekte. Im Umland ist alles vorhanden, was es braucht, guter Lehmboden und Wassser für die Ziegelherstellung und Holz fürs Brennen. Vom Mai bis zum Oktober arbeitet der Mann mit einem Sohn in der Ziegelei. Im Winter sammeln und verkaufen sie Holz. Die Familie sitzt vor dem Ziegelhaus mit Spitzdach daneben, in dem sie wohnt. Man habe sogar Fernsehen, versichert der Ziegelbrenner. Als er erfährt, dass wir Deutsche sind, sagt er verschmitzt: Die Deutschen sind weggegangen. Jetzt sind wir da. Wir, meint er damit Rumänen oder Roma? Was soll's! Das Ziel des Trusts, in den Dörfern eine lebendige Wirtschafts- und Sozialstruktur zu erhalten und auszubauen, mit Sachsen, Rumänen und Roma, zumindest in Deutsch-Weißkirch und Malmkrog scheint es erreicht zu sein. Wir setzen uns im Dorf noch mit unserem restlichen Picknick unter Bäumen vor Mihais Hof auf eine Bank und genießen das friedliche Bild, mit dem Wasserlauf in der Mitte, der Zeile der pastellfarbenen Gehöfte gegenüber und den Dörflern, die von der Arbeit nach Hause kommen. Vor einem Holztor stapft ein kleines Mädchen mit einer Puppe vorbei, die fast so groß ist wie es selbst. Mihai fährt mit seinem Wagen davon. Hier könnte ich sitzenbleiben und die Zeit verschlafen. Vielleicht würde ich dann wie Rip van Winkle in einem anderen Jahrhundert aufwachen und nichts mehr wiedererkennen.

Unsere letzte Station am Ostrand von Transsilvanien im Szekler-Land ist das Dorf Zabala/ Zabaia bei Covasna. Die ungarischen Höfe prunken mit geschnitzten Holztoren, auch über der Straße gibt es einen Bogen mit Holzschnitzerei. Sommerblumen blühen verschwenderisch an den Wegrainen. Auch hier gib es eine Wehrkirche, aber eine kalvinistische, denn viele Szekler folgten im 16. Jahrhundert dem Genfer Reformator, wohl auch um sich von den lutheranischen Sachsen zu unterscheiden. Wir fahren durchs Dorf bis zu einem altersschwachen Holzgatter, von dem eine Allee ausgeht. Vorbei an einem Teich und einer Pferdekoppel landen wir vor einem fast zwischen Bäumen verborgenen Gebäude. Das ehemalige Maschinenhaus des Landsitzes der ungarischen Adelsfamilie Mikes haben die Nachkommen zu einem hübschen kleinen Landhotel ausgebaut. Alte Holzdielen, ein Salon mit Kamin, geräumige Zimmer in der ersten Etage , sparsam mit antiken Möbeln ausgestattet und mit Blick in den Park, ein schmackhaftes ungarisch angehauchtes Abendessen. Sogar einen geheimen Gang zwischen dem Herrenhaus das gerade renoviert wird und einem weiteren Gästehaus gibt es, in dem die Gäste der Besitzer von ehedem trockenen Fußes ins Schlösschen gelangen konnten. Ein romantischer Abschluss meiner Landpartie durch Siebenbürgen.

Auf dem Rückweg entlang der durch Felder und Wiesen mäandernden Alt/Olt eine allerletzte Station bei Freck/Avrig, schon fast vor den Toren von Hermannstadt, im Park der Sommerresidenz Samuels von Brukenthal. Diese nach Ansicht von Cornelia Feyer, der deutschen Landschaftarchitektin, die über den Park geschrieben hat und sich um seine Wiederherstellung bemüht, bedeutendste barocke Gartenanlage in Südosteuropa schwankt noch zwischen neuem Aufschwung und sichtlicher Vernachlässigung. Es ist wohl auch ein gigantische Aufgabe, das dreiflüglige Herrenhaus und den in Terrassen abfallenden riesigen Garten zu restaurien und zu erhalten. Kommerzielle Nutzung liegt nahe. Von einem Wellness Hotel war die Rede. Aber wäre das im Sinne von Brukenthal, der schon damals den Park öffentlich zugänglich gemacht hatte, fragt Beatrice Ungar. Die Orangerie und eine Blumenrabatte davor sind immerhin schon in Stand gesetzt. Auch einige Blickachsen sind freigelegt. Die Beschließerin, die schon Jahrzehnte dort arbeitet, zeigt uns die Orangerie. Den Saal hat man bereits hergerichtet und vermietet ihn nun für Hochzeiten und andere Veranstaltungen. Gerade erwartet man eine Konferenz von Zeugen Jehovas. Wenn Hermannstädter Honoratioren etwas feiern wollen, haben sie jetzt ein repräsentatives Ambiente zur Verfügung. Das letze Stück Weges auf der Hauptstraße bringen wir ohne Schaden hinter uns und sind recht froh, heil zuhause zu landen. Die neu gewonnene Freiheit schließt bei vielen Rumänen die souveräne Verachtung der Verkehrsregeln ein.

An meinem letzten Tag kaufe ich eine Furcht einflößende Holzmaske mit wildem Haar und Bart aus Schafwolle. Zum Winteraustreiben im Januar werden solche Masken noch alljährlich beim Urzenlauf getragen. Die Basler Fassnacht lässt grüßen. Von lebendigem Brauchtum ist in Hermannstadt viel die Rede. Ende August gibt es ein großes Kunsthandwerk- und Folklore-Festival. Wie weit das noch die Jungen anspricht, kann ich in der kurzen Zeit nicht herausfinden. Jedenfalls scheint das Brauchtum mit dem Rock-Festival und anderen zeitgeistigen Events auf der Piata Mare eine Koexistenz einzugehen. Auf meiner Zeitreise bin ich wieder in der Gegenwart angekommen.

Anmerkung: Treffen mit Siebenbürger Sachsen und Rumänen kann man sich in Berlin, Nürnberg und Heilbronn beim www.siebenbuergen-stammtisch.de . Dort auch mehr Informationen zu Land und Leuten.

Bildnachweise:
Holztür: Copyright Razvan Voiculescu
alle anderen: Mateo Urquijo




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