29. September 2009

Wechselbäder

Am gestrigen grauen Spätwintersonntag, an dem ein eisiger Wind direkt aus Patagonien herzuwehen schien, machte ich mich zu zwei Zielen in Buenos Aires auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Am äußeren Rand der Capital Federal, wie sich das eigentliche Stadtgebiet von Buenos Aires nennt, im Barrio Nuñez liegt an der sechsspurigen Stadtachse Avenida del Libertador in einem weitläufigen Park eine Gruppe älterer Gebäude. Escuela de Mecanica de la Armada steht über dem mächtigen säulenbewehrten Hauptportal. In der berüchtigten Ausbildungsstätte der Marine, der Ex-ESMA, in der die Militärs in den achtziger Jahren Regimegegner gefangen hielten und folterten, wird heute getanzt. Weit hinten in einem der kleineren Gebäude ist der Espacio Cultural Nuestro Hijos untergebracht, das Kulturzentrum der Madres de la Plaza de Mayo, zur Erinnerung an die in der Militärdiktatur verschwundenen Söhne und Töchter.

Aus Sturm und Regen rette ich mich in die Eingangshalle in Erwartung von Jubel, Trubel und Heiterkeit beim 2. Festival Argentina Negra. Das Fest der Argentinier mit afrikanischen Wurzeln will aber nicht so recht in Gang kommen. Abends soll es Candombe geben, den Tanz der Schwarzen Brasiliens. Jetzt am Nachmittag muss ich mich mit einer kleinen Fotoausstellung über Tanzgruppen aus Cap Verde, Senegal und Brasilien, einem recht abgehangenen französischen Film über die Kolonialzeit in Westafrika und einem Verkaufsstand mit Trommeln und Holzmasken begnügen. Außer hinter den Verkaufstresen sind afrikanische Gesichter in der Minderzahl. Die rund 50 Festbesucher scheinen sich eher aus dem Umkreis der Madres, heute eine dezidiert linksperonistische politische Bewegung, zu rekrutieren.

So nehme ich bald einen colectivo stadteinwärts bis zum Palacio Errazúriz, dem Prachtbau im französischen Belle Epoque-Stil, ebenfalls an der Avenida del Libertador, aber in vornehmer Abgeschiedenheit des Barrio Parque gelegen. Das ehemalige Wohnhaus eines chilenisch-argentinischen Diplomaten und heutige Museo de Arte Decorativo öffnet sich für einen Abend der Opera Baroca. Im Musiksaal zwischen Gobelins, pseudogotischen Fenstern und geschnitzten Türen unter riesigen Bronzekronleuchtern gibt die junge Truppe Compañía de las Luces Szenen aus Glucks Iphigenie in Aulis und Rameaus Castor und Pollux mit großer Spielfreude und kultiviertem Gesang zum Besten. Der gewaltige Sandsteinkamin dient als Hölle. Jupiter schreitet die Wendeltreppe am Ende des Saals hinunter, und das kleine Orchester mit seinen historischen Instrumenten sitzt zwanglos vor den für diesen Abend aufgestellten Stuhlreihen. Ein Kammeropernabend vom Feinsten. Passend dazu gibt es in den anderen Sälen eine Ausstellung des französischen Bildhauers Houdon mit der Marmorbüste von Sophie Arnould, die weiland in Paris Rameau gesungen hat. Die argentinische Begeisterung für alles Französische kennt keine Grenzen. Am Wochenende davor strömten Hunderte zusammen, und defilierten durch die für einen Tag der Öffentlichkeit zugänglichen Prachträume der französischen Botschaft.

Solche Wechselbäder an einem Nachmittag und Abend zu erleben, ist in Buenos Aires kein Kunststück.

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