27. August 2009

Stille Tage in Siebenbürgen - Stadtgänge 3


Von unserer Wohnung in der Unterstadt aus sehe ich nicht weit entfernt ein Gebäude mit einer Vielzahl seltsamer Türmchen über dem Häusermeer. Es könnte eine Pagode sein, wäre das nicht in Hermannstadt eher unwahrscheinlich. Das muss das Haus des Roma-Kaisers sein, vermutet Sophie. Von den Roma (Zigeunern) hatte uns Beatrice erzählt. Als sie noch Lehrerin war, hatte sie auch Roma-Schüler, von denen einige die Roma-Sprache Romani sprachen. Rumänien hat eine der größten Roma-Minderheiten in Europa. 2,5 % der knapp 22 Millionen Rumänen sind Roma. Vor allem die Frauen fallen mit ihren langen Zöpfen, dem Goldschmuck und den weiten Blumenröcken ins Auge. Der Kaiser ist inzwischen verschwunden, weiß Beatrice. Er wollte den König, einen anderen Clanchef mit einem ebenso eindrucksvollen Palast, übertrumpfen und machte sich selbst kurzerhand zum Kaiser. Kaiser, König, Bettelmann. Einige Roma sind zu Geld gekommen, aber die meisten sind arm. Ihre alten Gewerbe, die Kesselflickerei, das Pferdefuhrhandwerk, die Tanzmusik, werden immer weniger gebraucht, auch wenn man gelegentlich Pferdewagen mit Zigeunern begegnet, ab und zu an Verkaufsständen mit Kupfergeschirr auf der Landstraße vorbeikommt, und Zigeunermusiker noch bei Hochzeiten aufspielen. Die Tanzbären leben jetzt im Tierpark, mit Vollpension. Als wir uns den Kaiser-Palast anschauen, tritt gerade ein schlanker hochgewachsener Mann aus der Tür und besteigt ein wartendes Taxi. Mit seinem schmalen, dunklen Gesicht und dem glatten, tiefschwarzen Haar könnte man ihm auch in Kalkutta oder Bangalore begegnen. Er belegt sichtbar die Theorie, dass die Roma ursprünglich aus Südasien stammen. An der Ecke spielen ein blonder, blauäugiger rumänischer Junge und ein dunkles Roma-Kind miteinander. Sie wissen wohl noch nichts von den Spannungen, die zwischen Rumänen und Roma immer wieder aufflammen. Das Haus ist bizarr. Auf einem kreuznormalen Steinhaus sitzt ein Wald von Türmchen, Erkern und anderen Ausbuchtungen aus Holz, noch zusätzlich durch ein Gewirr von Kabeln verziert. Die hohe Mauer rund um das Haus und das große Eisentor erlauben keinerlei Einblick in die untere Etage. Desto prominenter ragen die Türme heraus. Kein Wunder, dass ein Architekt dem Roma-Baustil ein ganzes Buch gewidmet hat.

Nahe unserem Haus ist der Markt. Dort hatte ich meine ersten rumänischen Zigeunerinnen gesehen, eine lachende Gruppe junger Frauen, voller Farben und Bewegung. Kaufen Sie, verkaufen sie? Einerlei. Der Markt ist jetzt im Hochsommer überbordend. Zu hohen Bergen sind die grünen Wassermelonen aufgetürmt. Chili und Paprika leuchten in allen Schattierungen von Gelb und Rot. Aus einem Weidenkorb schüttet eine Bauersfrau Blaubeeren auf ihren Verkaufstisch zum Sanddorn, den Brombeeren und den Himbeeren. Die nächste Ecke ist grün-gelb besetzt, von dicken, pickligen Gurken. Hedda legt alles ein, für den Winter, nach alter Art nur mit Salz und Wasser. Es gärt und wird leicht säuerlich. So entsteht das typische rumänische Gemüse. Markt war in Hermannstadt schon immer, wie auf dem Bild von Franz Neuhäuser aus dem 18. Jahrhundert zu sehen.

Rund um die schmucke Altstadt gibt es noch viel Platte, aber die meisten Wohnblöcke sind nicht mehr grau und abgeblättert. Hier ist das Betätigungsfeld von Camille. Die amerikanische Psychologin arbeitet im Auftrag einer amerikanischen Stiftung mit Waisenkindern und jungen Müttern. Begeistert erzählt sie von ihrer Arbeit und mit Wärme von ihren rumänischen Partnern. Sie und Frank, ihr Mann, der seine Ölingenieur-Beratungstätigkeit kurzerhand nach Hermannstadt verlegt hat, leben sichtlich nach den amerikanischen Wahlspruch think positive. Frank hat sogar angefangen, Deutschunterricht zu nehmen, damit er im Bachchor der Kirche richtig mitsingen kann. Als junger Mann hat er eine Zeit lang als Ingenieur in Deutschland geabeitet und damals wohl schon ein wenig fürs Deutsche Feuer gefangen.

An riesigen Einkaufszentren der Vorstadt vorbei – alle großen Ketten sind vertreten: Carrefour, Penny Markt, Real und in dieser Ecke Metro und die rumänische Trident – fahren wir nach Turnisor/Neppendorf. Der Vorort von Hermannstadt hat seine eigene Pfarrei und evangelische Akademie. Das Tagungs- und Konferenzzentrum der Akademie ist nach dem Widerstandskämpfer des 20. Juli Hans Bernd von Haeften benannt, der in Rumänien während des Zweiten Weltkriegs als Diplomat tätig war. Legen Sie unbekümmert um den prasselnden Schutt den Grundstein zu dem zukünftigen Neubau, riet er den verängstigten Menschen im Siebenbürgen des Dritten Reichs und warnte -wohl auch heute noch zeitgemäß - vor einem nur konservatorischen Geist. Auf dem Programm der Casa Haeften steht für September eine Tagung über Migration und Minderheiten im Kontext der EU-Erweiterung.

Bildnachweise:
Kaiserpalast: Mateo Urquijo
Königspalast, historischer Markt, heutiger Markt: Anselm Roth, Stadtführer Hermannstadt/Sibiu. hora-Verlag (2) 2006

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen