26. September 2010

Mit Müll in den Frühling

Wie jedes Jahr war am 21. September - an dem Tag, an dem in Deutschland der Herbst eingeläutet wird - in Buenos Aires Frühlingsanfang. Hatte ich mich in den vergangenen Jahren an der hübschen Sitte erfreut, dass viele Menschen eine Blume am Revers tragen und einander mit Blumensträußen beschenkten, so wurde ich in diesem Jahr mit einer weniger einnehmenden Sitte der hiesigen Frühlingsbräuche bekannt. An diesem Tag ist nämlich schulfrei, und die Jugendlichen ziehen in die Parks, um zu feiern. Das tun sie zunehmend unter Zuhilfenahme von Strömen von Alkohol und unter Hinterlassung von Bergen von Müll. Allein im Rosedal, dem schönen Park im Stadtteil Palermo mit seinen Teichen und Blumenrabatten habe die Müllmänner in den nächsten Tgen mehrere Tonnen von Müll eingesammelt. 20 Tonnen Müll waren der "Ertrag" dieser Frühlingsgefühle im Stadtgebiet, mehr als der gesamte normale Müll dieser 8-Millionen-Einwohner-Metropole in vier Tagen. Auch Messerstechereien waren am Frühlingsanfang an der Tagesordnung

Da denkt man fast, ein normaler Schultag hätte besser getan, zumal kaum ein Schuljahr ohne Streikphase beginnt und gerade in diesem Jahr viele Schulen von Schülern besetzt wurden. Argentinien ist stolz auf seine gut ausgebildeten Menschen, aber wie lange noch?

Fotos: La Nación, 22.9.2010

Soja & Tango


Was haben die goldgelbe Sojabohne und der Tango gemeinsam? Sie sind beide Goldminen für Argentinien. Bürgermeister Mauricio Macri hat sicher nicht zu romantischen Tango-aficionados gesprochen, sondern zu nüchternen Rechnern, als er vor einigen Tagen erklärte: Für Buenos Aires ist der Tango das, was die Sojabohne für das Land ist: ein Goldesel. Damit spielte der Stadtchef mit schnöder Deutlichkeit auf den einnahmeträchtigen Tango-Boom der letzten Jahre an, der zum Markenzeichen von Buenos Aires schlechthin geworden ist und von der Stadt gezielt gefördert wird. Er hält nicht nur eine Riege von Musikern, Sängern, Tänzern und Varietébühnen in Lohn und Brot, er sorgt auch für eine Tourismusindustrie, die das Stadtsäckel füllt, eben wie die Sojabohne die Schatullen der Zentralregierung. Denn die ölhaltigen Bohnen exportiert Argentinien weltweit bis nach China. Sie haben den Export von Rindfleisch als Haupteinnahmefaktor abgelöst.

Die Sojapreisnotierung wird täglich mit Spannung beobachtet. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Tango an der Börse notiert wird.

4. September 2010

Die heilige Cristina von den Schlachthöfen

Etwas ist faul im Land der Gauchos und des asado. Die Landwirtschaftsbeilagen der großen Zeitungen überbieten sich mit alarmierenden Statistiken. Das Rinderschlachten geht zurück und der Export von Rindfleisch noch mehr! Die Rinderverschläge in den Schlachthöfen von Liniers, einem südlichen Stadtteil von Buenos Aires, werden kaum noch voll. Traurig hängen die verbliebenen Rinderhälften dem Zeitungsleser ins morgendliche Bild.


Ganze Fleischverarbeitungsfirmen müssen schließen. Noch vor zwei Jahren hatte sich Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner hübsch in weiß und lächelnd neben ein paar Rinderseiten fotografieren lasssen. Der brasilianische Konzern JBS, einer der größten Verarbeiter von Rindfleisch weltweit, hatte einen seiner argentinischen Standorte wiedereröffnet. Nun macht er der heiligen Cristina von den Schlachthöfen einen Strich durch die Rechnung. Er will schließen oder verkaufen, weil sich das Geschäft in Argentinien nicht mehr lohne.


Woran liegt´s? Auf dem Inlandmarkt mögen veränderte Eßgewohnheiten eine Rolle spielen, die selbst in Argentinien die Fleischberge, die der Durchschnittsargentinier täglich verzehrt, schrumpfen lassen, obwohl sie im Vergleich zu anderen Ländern immer noch beachtlich sind. Für die Einbrüche beim Export machen die Rinderzüchter dagegen die Regierung verantwortlich. Denn die hält von Marktwirtschaft nicht allzu viel, um so mehr aber von Kontrolle. Der zuständige Staatsekertär, Guillermo Moreno, ist denn auch der bestgehasste Mann unter Bauern und Fleischfirmen. Er kommt schon mal mit Boxhandschuhen zur Sitzung oder legt einen Revolver auf den Tisch, um seinen Gesprächspartnern mit dieser ebenso schlichten wie kruden Symbolik klarzumachen, wer das Sagen hat. Und er diktiert die Preise. Auch die variablen Ausfuhrabgaben, die sich die Regierung vor zwei Jahren ausgedacht hat, tragen nicht zur Besserung der Lage bei. Planungssicherheit ist in Argentinien ohnehin ein Fremdwort.

Selbst der schlichte Bürger merkt es schon. Eine Freundin, deren Sohn in Deutschland lebt, erzählte bekümmert, ihr Sohn bekäme sein gewohntes argentinisches Steak nicht mehr. Das komme jetzt aus Brasilien oder Australien. Also aufgepasst und nachgefragt, wenn man beim deutschen Schlachter zartes Rindfleisch kauft. Das gute Stück kommt doch aus Argentinien, oder?


Fotos: La Nación, 31.8.2010 und 4.8.2010