Wenn ich mein Haus günstig verkaufen kann, mache ich eine Pilgerfahrt zur Madonna von Lujan. - Wieso zur argentinischen Nationalheiligen, Du bis doch gar nicht katholisch? frage ich den jüdischen Freund. Das macht nichts. In meinen Adern fliesst Porteno-Blut und da gehört die Madonna dazu.
Nichts könnte die Argentinidad besser umschreiben, als diese Anekdote. Argentinien klopft sich im Jahr des Bicentenario mit Vorliebe selbst auf die Schulter und sieht sich als tolerantes Einwandererland. Präsidentin Cristina Kirchner, die eine Schwäche dafür hat, andere zu schulmeistern, liebt es, den Europäern Lehren über den Umgang mit Einwanderern zu erteilen. Gerne übersieht man hier, dass die Einwanderungsgeschichte inzwischen etwas in die Jahre gekommen ist. Die großen Einwandererwellen liegen zwischen 120 und 60 Jahren zurück. Und die damals noch junge, ungefestigte Nation erwartete von ihren Immigranten eine Anpassung an die spanisch-katholische Leitkultur, an die im heutigen Europa nicht zu denken wäre. Alle Vornamen mussten hispanisiert werden. Wer sein Kind Karl oder Heinrich nennen wollte, landete bei Carlos und Enrique. Deshalb gibt es in Argentinien so viele Menschen mit Nachnamen wie Müller oder Bunge und spanischen Vornamen. Man stelle sich vor, die deutschen Behörden verlangten von türkischstämmigen Bürgern, dass sie ihr Kind Martin statt Feiredun nennen. Es gäbe wohl, zu Recht, einen Aufruhr. Das italienische Kulturinstitut von Buenos Aires beklagt, dass so wenige Portenos Italienisch sprächen, obwohl nahezu die Hälfte aller Argentinier italienische Vorfahren habe. Die mitgebrachte Sprache zu bewahren gelang nur wenigen, denn es wurde zu keiner Zeit gefördert.
Jüngere Einwanderung oder besser Arbeitsmigration gibt es in Argentinien nur aus Nachbarländern wie Bolivien und Peru. Die von dort kommen, sind so katholisch wie die große Mehrheit der Argentinier und sprechen ebenso Spanisch. Dennoch werden sie häufig über die Schulter angesehen. Heute wandern Argentinier eher selbst ab, nach Brasilien, das Argentinien wirtschaftlich immer mehr abhängt oder nach Spanien. Nicht von ungefähr lebt nur einer der Spieler in der argentinischen Fußballnationalmannschaft in seinem Heimatland. Alle anderen verdienen ihr Fußballerbrot im Ausland.
Eine Gruppe von Menschen, die nach Argentinien gar nicht einwandern musste, weil sie schon immer da war, lebt in ihrem eigenen Land vielfach wie im Exil, an den Rand gedrängt, geographisch und sozial marginalisiert- die Indios.
1. Juli 2010
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