15. Juli 2010

Im Teatro Colon - kalte Pracht

Gestern Abend hatte ich das Privileg, ins frisch renovierte Renommierstück der Kulturszene von Buenos Aires eingeladen zu sein. Das Teatro Colon strahlte und glänzte außen und innen. Auch das Schumann-Konzert war ein Genuss, den herrlichen Opernsaal mit seiner bemalten Decke, den Samtvorhängen und den vergoldeten sechs Rängen wiederzusehen ebenso.


Weniger genussvoll gestaltete sich das Drum und Dran. Gnadenlos ließen die Türsteher eine allmählich auf ungefähr hundert Personen anwachsende Menge im eisigen Wind dieses Winterabends draußen stehen, weil erst die Damen und Herren einer Sonderveranstaltung im Goldenen Saal hinauskomplimentiert werden mussten. Auch eine 87jährige Konzertbesucherin fand keinen Einlass in die Vorhalle. Überdies scheint die Heizung noch nicht renoviert zu sein. So liefen in der kalten Pracht der vergoldeten, von riesigen Kristalllüstern erleuchteten Wandelgänge die Besucher in Mänteln herum. Auch die Pause verhieß keinen heißen Kaffee oder ein Gläschen Schampus. Die Buffets gähnten leer und ungastlich. Wieder zeigte sich, daß Kundendienst in Argentinien ein Fremdwort ist und Schlangestehen ein nationaler Sport.

Dafür konnte ich etwas bewundern, was ich in keinem anderen Openhaus je gesehen habe. Befragt, wofür die dunklen Verließe zu beiden Seiten der Bühne am Rande des Parketts dienten, klärte mich meine Freundin auf: Früher durfte man, wenn man Trauer hatte, nicht in die Oper, erzählte sie, so kam man auf die Idee, für die armen Trauernden, die vergeblich nach Kunstgenuss lechzten, diese dunklen Verliese zu schaffen, in denen sie nicht gesehen werden, aber am Opernspektakel teilhaben konnten. Eine echt argentinische Lösung, die auch heute in vielen Bereichen gerne Anwendung findet. Wie sagte mein Bankmensch: Das Papier ist eine Sache, die Wirklichkeit eine andere.

Fotos: La Nacion

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