3. Juli 2010

Erfolgreich gegen den Strom


«Sie ist eine Kämpferin», sagt ihre Mutter. Die 90-Jährige war bei der Amtseinsetzung vor einem Jahr dabei, ebenso Ehemann Johann Maree, Soziologieprofessor an der Universität Kapstadt, und die beiden Söhne. «Ich kann gut delegieren und die richtigen Mitarbeiter auswählen», benennt Helen Zille eines ihrer Erfolgsgeheimnisse. «Mein Mann war meine beste Personalentscheidung», lacht sie. «Wir sorgen für Mamas Bodenhaftung» kontert Sohn Paul.

Mila und Wolfgang Zille, die Eltern, haben sich erst in Johannesburg kennengelernt. Beide hatten einen jüdischen Elternteil und waren mit der Familie aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen. Helens familiäre Wurzeln führen ins Ruhrgebiet und nach Berlin. Als SA-Leute das Haus der Großeltern in Essen in der Reichspogromnacht verwüsteten und den Großvater festnahmen – er wurde später freigekauft – flüchtete die Großmutter mit den Kindern über England nach Südafrika. Die Familie von Helens Vater, dessen Mutter Jüdin war, ging schon bald nach der so genannten Machtergreifung aus Deutschland weg und einige Jahre später nach Südafrika.

In einem politisch bewussten und emanzipierten Umfeld ist Helen erzogen worden. Schon ihre Essener Großmutter hatte den Töchtern beigebracht: «Mädchen schmeißt eure Stricknadeln weg. Wartet nicht auf Ehemänner, sondern lernt, unabhängig zu sein.» So Helen Zille in einem Interview. Sensibel für jede Form von Rassismus engagierte sich ihre Mutter in der Antiapartheidbewegung. Menschen mit solcher Familiengeschichte reagieren wie Seismographen auf erste Anzeichen von Intoleranz. Nicht von ungefähr finden sich viele südafrikanische Juden unter den damals aktiven Apartheidgegnern. Helen Zille begreift sich als Christin mit jüdischen Wurzeln, so bekannte sie auf einer Konferenz amerikanischer jüdischer Organisationen, die im Vorfeld der Fußball WM ans Kap gereist waren. Sheila Boardman, Mitschülerin an der St. Mary’s Schule im Johannesburger Vorort Waverley erinnert sich: «Helen war immer sehr zielbewusst, direkt und offen. Das war ziemlich ungewöhnlich für ein Mädchen in den 60er Jahren.»

1977 kam Studentenführer Steve Biko in der Haft um. Helen Zille, inzwischen junge Journalistin, deckte den als Tod durch Hungerstreik getarnten Mord auf und berichtete darüber im «Rand Daily Mail». Die Überschrift «Keine Zeichen von Hungerstreik – Bikos Ärzte» dieses Stücks investigativen Journalismus sendete eine Schockwelle durch das Südafrika der Apartheid. Repressalien bis zu Todesdrohungen waren die Folge. Wenig später verließ Helen die Johannesburger Zeitung und fand in Kapstadt in der Black Sash- Bewegung des zivilen Ungehorsams gegen die Apartheidgesetze ihre politische Heimat. Manchem Verfolgten konnte sie helfen.

Entschlossenheit und Mut. Die braucht sie auch heute, wenn es darum geht, Machtmissbrauch des regierenden African National Congress (ANC) anzuprangern und die Tendenz, jeden der nicht mitspielt, als Rassisten zu diffamieren. «Godzille» nennen ihre Gegner sie. «Ich habe eine automatische Löschtaste im Kopf», winkt Zille ab.

Auch sie hat wie einst Martin Luther King einen Traum: Sie will Südafrika von der noch zu sehr auf Rasse basierenden Politik wegführen und den Seilschaften eine offenere Gesellschaft entgegensetzen. So sah sie sich bald nach dem Ende der Apartheid wieder auf der Seite der Opposition. Anpassung an die jeweils Mächtigen ist ihre Sache nicht. In der Ära der Apartheid provozierte sie das weiße Establishment, heute das schwarze. Doch beließ sie es nicht beim Neinsagen.

Nach einigen Jahren als Erziehungsministerin im Westkap und als Abgeordnete des nationalen Parlaments gelang ihr der erste große Durchbruch. Mit hauchdünner Mehrheit einer bunt gemischten Koalition wurde sie 2006 Bürgermeisterin von Kapstadt. Damit stand sie einem Drei- Millionen-Gemeinwesen mit erheblichen sozialen Problemen vor. Der Erfolg ihres energischen und effizienten Regierungsstils blieb nicht aus. Arbeitslosigkeit und Kriminalität gesenkt, Geld für mehr soziale Projekte freigemacht und den World Mayor Award gewonnen, den Preis der weltbesten Bürgermeisterin. Sie ist stolz auf das Erreichte.

Der Stallgeruch des ANC fehlt ihr, die Bürgernähe nicht. Helen Zille ging schon mal selbst nachsehen, wenn die Polizei an einem Tatort nicht zur Stelle war und überraschte die Ordnungshüter beim Fernsehen. Im Township kann sie mit jedem reden. Als eine der wenigen Weißen spricht sie neben Englisch, Afrikaans und Deutsch mit Xhosa auch die regionale Bantu- prache. Als sie eine Demonstration gegen Drogenbarone aktiv unterstützte, wurde die Streitbare sogar als Bürgermeisterin kurz inhaftiert. Sie lässt sich nicht beirren.

Soziale Verantwortung bringt die Großnichte des Berliner Milljöh-Schilderers Heinrich Zille von zuhause mit. Nicht weit weg von dessen feuchten Kellerwohnungen im Kietz sind die ärmlichen Hütten im Township, auch wenn hier öfter die Sonne scheint. So ließ Helen Zille es sich 2008 nicht nehmen, im Städtchen Radeburg in der Lausitz den 150. Geburtstag des «Pinselheinrichs» mitzufeiern und den sächsischen Zille-Schülern vom fernen Südafrika zu erzählen.

Das in Kapstadt angesammelte Vertrauenskapital konnte Helen Zille nutzen, als es um einen noch höheren Einsatz ging. Es galt, die ganze Provinz zu gewinnen. «Dabei ist keine Magie», sagte einer ihrer Wahlkampfbegleiter erschöpft, während Helen ein Bad in der Menge nahm, sang und tanzte, «es ist gute, altmodische Arbeitsethik». Sie selbst bekennt: «Ich bin in meiner Einstellung sehr deutsch und mit viel Disziplin aufgewachsen». Die Damen aus den besseren Vierteln fanden ihr Tanzen genierlich. «Das gehört zur afrikanischen Kultur» beschied sie ihren weißen Fanclub. Was sie macht, macht sie ganz. «Es ist Z-Zeit», jubelten ihre Anhänger nachdem die von Zille geführte Democratic Alliance 2009 mit sensationellen 51,3 der Wählerstimmen in der Provinz Westkap die Regierung stellen konnte und landesweit auf beachtliche 16 Prozent kam. «Z» stand nun nicht mehr allein für Jacob Zuma, den mächtigen ANC-Parteichef und gerade gewählten Präsidenten, sondern auch für Helen Zille.

Effizienz und Sparsamkeit sind ihre Markenzeichen beim Regieren. Als Bürgermeisterin von Kapstadt hat sie sehr genau geprüft, was das neue WM-Stadion kosten solle, wo das Geld herkomme und wie man das Stadion später nutzen werde. Als Regierungschefin der Provinz Westkap versucht sie, dem allgemeinen Schlendrian und der Verschwendungssucht der Staatsbediensteten entgegenzuwirken und hat einen eigenen Ausgabencode aufgestellt. Auch sie begreift aber die Fußball WM als große Chance für ihr Land. «Zeigt der Welt AfriCan», Afrika kann es, gab sie vor den 44.000 als Slogan aus, die zu einem Bittgottesdienst in Kapstadts Green Point Stadion einige Wochen vor den Spielen zusammengekommen waren. Und sie ist ein Worcaholic. «Wat macht denn der Kerl da? Der arbeet’t.» Diese Bildunterschrift Heinrich Zilles könnte auch auf seine Großnichte passen.

Für ihre scharfe Zunge und Schlagfertigkeit von ihren politischen Gegnern gefürchtet, geht sie keinem Streit aus dem Weg. Kaum im Amt, wurde sie wegen ihres vorwiegend aus weißen Männern bestehenden Kabinetts angegriffen. Mehr Schwarze, mehr Frauen, forderte man. Helen Zille beharrte aber darauf, dass Posten nach Fähigkeit vergeben werden sollten, nicht nach Quoten, was oft nur eine Ausrede für Gefälligkeiten sei. Und sie legte den Finger auf die Wunde der patriarchalischen Gesellschaft: auf das Aids-Problem. Die beste Frauenförderung sieht sie in mehr Bildungsinvestitionen.

Zille verbindet das Amt der Regierungschefin in einer Provinz mit dem der Oppositionsparteiführerin auf nationaler Ebene. Kein leichter Spagat. Der Wahlsieg ihrer Democratic Alliance bedeutete auch, eine erneute Zwei- Drittel-Mehrheit des ANC zu verhindern und damit zur Machtbegrenzung beizutragen. «Macht korrumpiert», ist ihre Überzeugung «und absolute Macht korrumpiert absolut». Ihre Partei bietet den Wählern eine Alternative.

Zivilcourage würde die Unbeugsame wohl selbst als wichtigste Tugend einer Politikerin bezeichnen. Versöhnlichkeit war ihre Sache bisher weniger. «Hör auf die Menschen», rät Mutter Mila. «Es gibt mehr, was uns zusammenhält, als was uns trennt» beschwörte Helen Zille in ihrem wöchentlichen Newsletter unlängst ihre Landsleute, als nach dem Mord am rechtsextremistischen Burenführer Eugène Terre’Blanche die latenten Rassenanimositäten neu aufflammten. Die tiefen Wunden ihres Landes heilen zu helfen und gleichzeitig wachsam die Demokratie zu verteidigen, für dies Ziel wird sie noch mehr schwarze Wähler gewinnen müssen. «Das ist unsere größte Herausforderung», sagt sie selbst.

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