Text Edith Werner
Die beste Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten hat Südafrika angekündigt. Ein Blick hinter die Kulissen – und auf Menschen voller Erwartung.
Wenn am 11. Juni im Soccer City Stadion von Johannesburg der Anpfiff zu den ersten Fußballweltmeisterschaften auf afrikanischem Boden ertönt, werden sich die ewigen Zweifler die Augen reiben.
Ist dies das Land der erst vor einem guten Jahrzehnt überwundenen Apartheid, von Armut, Aids und Verbrechen geplagt? Südafrika hat viele Gesichter. Sauertöpfische oder grimmige sind kaum darunter. Seit langem sind alle Anstrengungen auf das eine Ziel ausgerichtet worden: Der Welt zu zeigen, dass Südafrika mitspielen kann und das nicht nur im Fußball.
20 Jahre sind vergangen, seit der letzte Burenpräsident de Klerk die Apartheidpolitik beendete, Mandela den Schritt in die Freiheit tat und bald darauf der erste schwarze Präsident Südafrikas wurde. Überlebensgroß steht er in Bronze mitten im Sandton Centre, in der angesagten Shopping-Meile von Johannesburgs CBD. Eine Gruppe von Teenagern albert drum herum. Verstohlen fasst ihn ein Mädchen am Daumen. Der ist schon blankgewetzt von all den Händen, die den weltlichen Heiligen Südafrikas berühren wollen.
In den 15 Jahren seit dem Ende des alten Regimes ist viel erreicht worden. Südafrika gab sich eine vorbildlich demokratische Verfassung. Der Übergang zur neuen Regierung verlief weitgehend friedlich. Keiner der bisherigen Präsidenten versuchte, seine Herrschaft zu verewigen. Pressefreiheit und Rechtssicherheit sind im Wesentlichen gewährleistet.
Auch wirtschaftlich ging es bergauf. Der regierende ANC, obwohl im Dauerbündnis mit Gewerkschaften und Kommunistischer Partei, hat der Versuchung widerstanden, eine sozialistische Staatswirtschaft zu errichten und Umverteilung durch Enteignungen zu forcieren. So konnte sich das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren sehen lassen. Südafrika ist allen anderen Sub-Sahara-Ländern an Prosperität und Stabilität voraus. Dabei halfen die gute Infrastruktur, die der ANC von seinen Vorgängern übernehmen konnte und der Boom der Rohstoffpreise.
Eine schwarze Mittelklasse ist entstanden, die wenn auch noch klein, vor allem in Johannesburg nicht zu übersehen ist. Die Buppies, die Black Urban Professionals, strömen zur Lunchzeit aus ihren Bürotürmen und füllen die schicken Restaurants der neuen Geschäftsviertel. In Soweto, dem größten Township von Johannesburg, drängen sich zwar meistens noch winzige Häuschen und Hütten aneinander, doch kann man auch stattliche Villen sehen. Gewimmel herrscht unter der Lichtkuppel der Maponya Mall bis spät in den Abend hinein. Der größte Konsumtempel Südafrikas steht mitten im Township. „Ich habe mir einen Traum erfüllt“, sagte Richard Maponya, der 82-jährige Besitzer. Mit einem Handkarren hatte er als fliegender Händler vor Jahrzehnten angefangen.
Eine Gruppe von Zulufrauen mit ihren wagenradgroßen, tomatenroten Hüten umlagert in Durbans quirligem Zentrum einen Stand mit Telefon. Nicht jeder hat ein Mobiltelefon. Da ist Telefonzeit verkaufen eine Geschäftsidee für den Straßenhandel. Die Frauen sind zu einer Folkloreschau unterwegs. Getragen werden die malerischen Zulukappen und die Gewänder aus anderen Provinzen fast nur noch zu festlichen Anlässen. So gleicht die jährliche Eröffnung der Sitzungsperiode im Kapstädter Parlament einem Trachtendefilee. Südafrika sieht sich als Regenbogennation, vereint es doch eine Vielzahl von Völkern mit unterschiedlichen kulturellen Traditionen. Neben Xhosa, Zulu und Sotho um nur die Hauptgruppen der schwarzen Bevölkerung zu nennen, moslemische Kapmalaien, von der Urbevölkerung abstammende Namas, afrikaanse und englischstämmige Europäer sowie Inder. Das bunte Gemisch verträgt sich im Großen und Ganzen gut. Gewalttätige Zusammenstöße wie etwa in Kenia oder Nigeria gibt es nicht. 2008 kam es allerdings zu tödlichen Angriffen auf Flüchtlinge aus afrikanischen Nachbarländern, die Südafrika in seinem Selbstverständnis als offenes und tolerantes Gemeinwesen erschütterten. Spannungen herrschen noch zwischen Schwarz und Weiß, wenn es um Einfluss in Politik und Wirtschaft geht. Immerhin konnte 2009 mit der deutschstämmigen Helen Zille erstmals eine weiße Oppositionspolitikerin mit dem Westkap eine Provinz erobern.
Für sie bleibt noch viel zu tun. Wer vom hochmodernen Kapstädter Flughafen in die Innenstadt fährt, passiert die Reihen ärmlicher Hütten und Bretterverschläge am Rande der Townships Kayelitsha und Nyanga. Weiterhin ist die Schere zwischen Arm und Reich groß. Die drei fatalen A, Armut, Arbeitslosigkeit und Aids konnte keine der bisherigen Regierungen in den Griff bekommen. Zwischen 30 und 40 % liegt die Arbeitslosenrate. Jeden Morgen sammeln sich Gruppen von jungen Männern an den Straßenecken der besseren Wohnviertel auf der Suche nach ein paar Stunden Arbeit. „Wenn ich bis Mittags nichts gefunden habe, laufe ich nach Hause“, sagt Kgomotso. So spart er die fünf Rand für den Kleinbus. Zwei Stunden ist er unterwegs. Die Ringe der Armensiedlungen um alle Städte gehören zu Südafrika ebenso wie die bewachten Luxuswohnkomplexe und die Einkaufspaläste. In der Bekämpfung von Aids wurde unter Mbeki viel Zeit verschenkt. Die unanfechtbare Stellung des ANC, verbunden mit Defiziten in der Ausbildung, trägt zu ineffizienten und aufgeblähten Verwaltungsstrukturen und zu Korruption bei. Für alle Missstände dient die Apartheid als Sündenbock. „Wir haben eine Verfassung der Ersten Welt, handeln aber oft wie die Dritte Welt“, hört man klagen. „Gebt uns Zeit“, entgegnet Desmond Tutu, der frühere anglikanische Oberhirte und Freiheitskämpfer, „wir sind als Demokratie erst 15 Jahre alt“. Dabei nimmt er selbst kein Blatt vor den Mund wenn es gilt, Machtmissbrauch der neuen Elite anzuprangern.
Auch der Kampf gegen die Gewaltkriminalität muss erst noch gewonnen werden. Südafrika steht in der Mordstatistik weit oben, Tendenz allerdings fallend. Zur Fußball-WM werden 40.000 Polizisten zusätzlich auf die Straßen geschickt. WM-Chefmanager Danny Jordaan schiebt Bedenken beiseite. Schließlich ist es nicht das erste internationale Sportereignis, das Südafrika ausrichtet. Beim Confederations Cup 2009 konnte geprobt werden. Touristen sind von Kriminalität ohnehin weniger betroffen als Einheimische.
Gedrückte Stimmung herrscht nirgends. In einer Befragung sagten mehr als 70 %, sie seien stolz auf ihr Land und glücklich, Südafrikaner zu sein; eine Zustimmungsrate, von der manches weiter entwickelte Land nur träumen kann. Ihr Optimismus und ihre Fähigkeit, aus allem das Beste zu machen, ist eine der liebenswertesten Eigenschaften der Südafrikaner. Südafrikas größtes Kapital sind seine Menschen.
44.000 strömen im neuen Green Point Stadion zu einem Bittgottesdienst einige Wochen vor der WM zusammen. Eine gelungene Generalprobe. Wie eine riesige fliegende Untertasse ist die elegante Schüssel an der Kapstädter Atlantikküste gelandet. Die Vuvuzela, die knallbunte Tröte, die jedes Fußballspiel zu einem ohrenbetäubenden Konzert macht, bleibt für diesmal zuhause. Statt Getöse gibt es ein gemeinsames Gebet. Südafrikaner sind nicht nur religiös, sie sind auch überzeugt, in „God´s own country“ zu leben. Kann man es ihnen verdenken? Bilderbuchschön ist die Aussicht vom Stadion übers Meer und zum Tafelberg.
Befragt, was er sich vom World Cup verspreche, muss Sipho, Parkwächter an der Corniche von Camps Bay, nicht lange überlegen. „Ey Mann, fette Kohle.“ Er selbst sieht sich die Spiele lieber im Fernsehen an. Die Karten sind ihm zu teuer. Ein wenig vom Geldsegen wird auch bei ihm hängen bleiben. Schon jetzt hat er mit den silbern glänzenden Mercs, wie die Autos mit dem Stern hier heißen, und den BMW Cabrios, die an der Flaniermeile Kapstadts am Meer auf der Suche nach einem Parkplatz vorbeisurren, alle Hände voll zu tun. Im Juni und Juli wird Hochkonjunktur sein.
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