27. April 2010

Das Fest des Buches II

Eine spannende Debatte konnte man auf der Feria del Libro am Sonntag verfolgen. Bei einer Podiumsdiskussion von acht bekannten regierungskritischen Journalisten der Zeitungen Clarín, La Nación und Perfil - die eingeladenen regierungsfreundlichen hatten abgesagt - ging es um die Freiheit der Meinungsäußerung. Alle acht sehen die Pressefreiheit als zunehmend bedroht an und waren selbst zum Teil einschüchternden verbalen Angriffen ausgesetzt. Nach Darstellung von Daniel Santoro, Clarín, hat es im Jahr 2009 landesweit 147 Angriffe auf Journalisten gegeben. Das Panel sieht die Schuld bei der Regierung, die teils selbst gegen die ihnen nicht genehme Presse hetze, teils ihre Gefolgsleute zu aggressiven Protesten gegen Journalisten animiere oder gegen Rufmordkampagnen nicht Stellung beziehe.

Hintergrund der Debatte im sich zuspitzenden Pressekrieg ist ein anonymes Plakat aus den letzten Tagen, auf dem bekannte Journalisten mit Foto und Namen gezeigt und als ehemalige Handlanger der Militärdiktatur denunziert werden, u.a. weil sie bei einer Zeitung arbeiteten (Clarín), deren Herausgeberin vermutlich Kinder von desaparecidos adoptiert habe (siehe dazu Blogeintrag Zwangs"beglückung" vom 23.4.2010) Für Donnerstag dieser Woche haben die Madres de la Plaza de Mayo, die sich unter ihrer Chefin Hebe de Bonafini zu einer kirchnertreuen Kampftruppe entwickelt haben, zu einem öffentlichen Tribunal gegen dieselben Journalisten auf der Plaza de Mayo aufgerufen. Anibal Fernandez, der als Kabinettchef eigentlich über der Debatte stehen sollte, ließ sich kürzlich mit einem T-Shirt fotografieren, auf dem das Wahrzeichen von Clarín, ein Mann mit Fanfare, zu Boden gestürzt ist.

Das Klima der Intoleranz und die Tiefe der ideologischen Spaltung der argentinischen Gesellschaft zeigt ein anderer Vorfall auf der Messe vom selben Tag. Eine Gruppe von Demonstranten versuchte, die Vorstellung eines Buches zu verhindern, in dem Kritik am INDEC, dem nationalen Amt für Statistik geübt wird, das schon seit Jahren neuralgische Daten wie die Statistiken für Arbeitslosigkeit, Inflation und Armut schönfärbt und vom Internationalen Währungsfonds wiederholt kritisiert wurde. Beatrice Sarlo, bekannte linksliberale Publizistin und u.a. ein Jahr Gast des Wissenschaftskollegs in Berlin, sagte vom Podium aus, die Demonstration zeige, wie notwendig die politische Debatte um das Amt für Statistik sei.

Angesichts der aktuellen Misere stehen große Teile der Messe ganz im Zeichen der Nostalgie. Im Jahr des Bicentenario findet sie unter dem Motto Festejar con Libros 200 Anos de Historia statt. So gibt es eine Fülle von Neuerscheinungen zu Argentiniens Geschichte und viele schöne Bildbände im Geiste nationaler Erbauung. Bücher über die Helden der Unabhängigkeitskriege, San Martín und Belgrano, über das spezifisch argentinische Amalgam aus weitem Land, Gauchos, Pferden und Traditionsliebe, das man gerne als Criollo bezeichnet, Künstlerbücher zur Zweihundertjahrfeier, wer in Argentinischem schwelgen will, wird heuer reich bedient.


Karikatur : La Nación, 27.4.2010: " Sieh mal, was ich mir für ein Riesenbuch auf der Feria del Libro gekauft habe." - "Großartig. Worum geht es denn darin?" - "Keine Ahnung. Ich benutze es als Schutzschild, wenn ich zu Buchvorstellungen gehe, in denen die Regierung kritisiert wird."

Foto Anibal Fernandez: Noticias, 24.4.2010
Foto INDEC-Demonstranten: La Nación, 26.4.2010

Zeichnung Bicentenario: Clarín-Beilage N, 24.4.2010

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