30. April 2010

Indianerdämmerung zum Totlachen

In den streng funktionalen Räumen des Multitheaterkomplexes Teatro San Martín an der Av. Corrientes würde man es nicht vermuten, aber dort findet man dieser Tage einen fast echten toldo im dritten Untergeschoss, ein Indianerzelt. In betont naturalistischer Kulisse geben vier Indios, zwei Weiße und eine surreale Dame Zukunft die Farce Los Suenos de Cohanaco . Der Kazike mit dem Namen, der fast wie Guanaco klingt, wie das Wild, das er und seine kleine Truppe jagen, hat längst jede Gewissheit verloren und fast alle Würde. Mit der Flasche aguardiente, Feuerwasser, in der Hand, taumeln er und sein Kumpan mit ihren zwei Frauen durch ihr Leben, dem die weißen Kolonisatoren die Grundlage entzogen haben. Ob es der zwischen vorgezeigter englischer Fairness und kolonialem Machtanspruch changierende Mr. Sheffer ist oder der zynische chilensche Gauner, was sie den Indios bringen, ist der Untergang. So hält sich Cohanaco in seinen schnapsseligen Träumen an die Zukunft, diese lächelnde, sich stets entziehende Wundergestalt im roten Satin.


Autorin, Regisseurin und Akteurin Mariana Chaud, unterstützt von Leandro Halperín, gelingt es, die Geschichte eines so tragischen wie unausweichlichen Niedergangs als Burleske zu erzählen, ohne dass die Fallhöhe von den Lachern eingeebnet wird. Cohanaco und Patitas, eine seiner Frauen, haben anrührende Momente, wenn sie das Neue zu umarmen versuchen ohne das Alte aufzugeben. Die Zukunft ist wie ein Kondor, er setzt sich nieder und fliegt davon, wenn man ihn halten will, ist Cohanacos lebensweises Fazit.


Szenenfoto aus dem Programmheft

29. April 2010

Das Fest des Buches III

Morgen wieder auf die Feria del Libro. Diesmal in eigener Sache. Am Deutschen Gemeinschaftsstand, Nr. 1923 im Pabellon Amarillo, auf der Rural an der Plaza Italia werde ich am 1.5. um 17.00 mein Buch "Unterwegs im Tangoschritt - Streifzüge durch Buenos Aires" signieren. Bin gespannt, wieviele deutschsprachige Portenos sich von einer Zugereisten etwas über ihre Stadt erzählen lassen wollen. Glücklicherweise bin ich nicht geschasster Nationalbankchef und muss mein Erscheinen absagen, weil ich Übergriffe von Demonstranten zu befürchten hätte, wie Martin Redrado.

27. April 2010

Das Fest des Buches II

Eine spannende Debatte konnte man auf der Feria del Libro am Sonntag verfolgen. Bei einer Podiumsdiskussion von acht bekannten regierungskritischen Journalisten der Zeitungen Clarín, La Nación und Perfil - die eingeladenen regierungsfreundlichen hatten abgesagt - ging es um die Freiheit der Meinungsäußerung. Alle acht sehen die Pressefreiheit als zunehmend bedroht an und waren selbst zum Teil einschüchternden verbalen Angriffen ausgesetzt. Nach Darstellung von Daniel Santoro, Clarín, hat es im Jahr 2009 landesweit 147 Angriffe auf Journalisten gegeben. Das Panel sieht die Schuld bei der Regierung, die teils selbst gegen die ihnen nicht genehme Presse hetze, teils ihre Gefolgsleute zu aggressiven Protesten gegen Journalisten animiere oder gegen Rufmordkampagnen nicht Stellung beziehe.

Hintergrund der Debatte im sich zuspitzenden Pressekrieg ist ein anonymes Plakat aus den letzten Tagen, auf dem bekannte Journalisten mit Foto und Namen gezeigt und als ehemalige Handlanger der Militärdiktatur denunziert werden, u.a. weil sie bei einer Zeitung arbeiteten (Clarín), deren Herausgeberin vermutlich Kinder von desaparecidos adoptiert habe (siehe dazu Blogeintrag Zwangs"beglückung" vom 23.4.2010) Für Donnerstag dieser Woche haben die Madres de la Plaza de Mayo, die sich unter ihrer Chefin Hebe de Bonafini zu einer kirchnertreuen Kampftruppe entwickelt haben, zu einem öffentlichen Tribunal gegen dieselben Journalisten auf der Plaza de Mayo aufgerufen. Anibal Fernandez, der als Kabinettchef eigentlich über der Debatte stehen sollte, ließ sich kürzlich mit einem T-Shirt fotografieren, auf dem das Wahrzeichen von Clarín, ein Mann mit Fanfare, zu Boden gestürzt ist.

Das Klima der Intoleranz und die Tiefe der ideologischen Spaltung der argentinischen Gesellschaft zeigt ein anderer Vorfall auf der Messe vom selben Tag. Eine Gruppe von Demonstranten versuchte, die Vorstellung eines Buches zu verhindern, in dem Kritik am INDEC, dem nationalen Amt für Statistik geübt wird, das schon seit Jahren neuralgische Daten wie die Statistiken für Arbeitslosigkeit, Inflation und Armut schönfärbt und vom Internationalen Währungsfonds wiederholt kritisiert wurde. Beatrice Sarlo, bekannte linksliberale Publizistin und u.a. ein Jahr Gast des Wissenschaftskollegs in Berlin, sagte vom Podium aus, die Demonstration zeige, wie notwendig die politische Debatte um das Amt für Statistik sei.

Angesichts der aktuellen Misere stehen große Teile der Messe ganz im Zeichen der Nostalgie. Im Jahr des Bicentenario findet sie unter dem Motto Festejar con Libros 200 Anos de Historia statt. So gibt es eine Fülle von Neuerscheinungen zu Argentiniens Geschichte und viele schöne Bildbände im Geiste nationaler Erbauung. Bücher über die Helden der Unabhängigkeitskriege, San Martín und Belgrano, über das spezifisch argentinische Amalgam aus weitem Land, Gauchos, Pferden und Traditionsliebe, das man gerne als Criollo bezeichnet, Künstlerbücher zur Zweihundertjahrfeier, wer in Argentinischem schwelgen will, wird heuer reich bedient.


Karikatur : La Nación, 27.4.2010: " Sieh mal, was ich mir für ein Riesenbuch auf der Feria del Libro gekauft habe." - "Großartig. Worum geht es denn darin?" - "Keine Ahnung. Ich benutze es als Schutzschild, wenn ich zu Buchvorstellungen gehe, in denen die Regierung kritisiert wird."

Foto Anibal Fernandez: Noticias, 24.4.2010
Foto INDEC-Demonstranten: La Nación, 26.4.2010

Zeichnung Bicentenario: Clarín-Beilage N, 24.4.2010

25. April 2010

Das Fest des Buches I

Seit Mittwoch ist die Feria del Libro eröffnet und alle, alle kommen zu dieser größten Bücherschau Lateinamerikas. Anders als die Frankfurter Buchmesse, die mehr für Fachleute da ist, gehört die Feria del Libro dem Publikum, zum Kaufen, Schauen und Zuhören bei all den zahlreichen Lesungen, Events und Konzerten und den gleich zwei langen Nächten des Buches.

Wer sich mutig in das unglaubliche Gewimmel auf der Rural, dem Messegelände im Stadtteil Palermo, stürzt, glaubt gerne, dass letztes Jahr 1,3 Millionen Menschen zusammenströmten, und dieses Jahr werden es nicht weniger sein.

Das deutsche Interesse an diesem Fest des lateinamerikanischen Buches ist diesmal besonders groß. Jürgen Boos, der Chef der Frankfurter Buchmesse, ist angereist und eine Journalistenriege fast aller großen deutschen Zeitungen wird für nächste Woche erwartet. Nicht von ungefähr, denn im Oktober wird sich Argentinien auf der Frankfurter Buchmesse als Gastland präsentieren. Wie wichtig Argentinien diesen Auftritt nimmt, kann man daran ablesen, dass Präsidentin Cristina Kirchner höchst selbst den Messechef aus Frankfurt empfangen hat und im Oktober zur Eröffnung der Argentinien-Schau nach Deutschland reisen will.

Ein Wermutstropfen fiel für kritische Geister in die Feria-Freude, als am Donnerstag die von der Messe eingeladene Kuba-Dissidentin, die Ärztin Hilda Molina, durch militante Pro-Castro-Gruppen an ihrer Lesung gehindert wurde und den Saal verlassen musste, ohne dass die Messeleitung oder die Sicherheitskräfte ihr wirksam zu Hilfe kamen. Hilda Molina wurde bekannt, als die kubanische Regierung sie jahrelang daran hinderte, zu ihrer in Argentinien lebenden alten und kranken Mutter zu reisen, weil sie dem Regime nicht genehm ist.


Zeichnung: Clarin-Beilage N, 24.4.2010
Foto: La Nacion, 24.4.2010

23. April 2010

Zwangs"beglückung"

In einem Offenen Brief haben sich heute die beiden Adoptivkinder der Herausgeberin von Clarín, der größten Tagsezeitung des Landes, an die argentinische Öffentlichkeit gewendet. Seit Jahren sehen sich Felipe und Marcela Noble Herrera in einen Prozess verwickelt, der darauf abzielt, nachweisen zu können, sie seien Kinder von desaparecidos, von in der Militärdiktatur Verschwundenen. Obwohl die beiden inzwischen über Dreißigjährigen sich schon vor sieben Jahren freiwillig einem Gentest unterzogen haben, werden neue genetische Proben verlangt, denen sich die klagende Partei, die vermeintlichen Verwandten selbst, nie unterziehen wollte. In dem Brief äußern Felipe und Marcela ihre Furcht vor Manipulierung genetischer Daten durch die Untersuchenden.

Sie sehen in dem Verfahren eine politische Instrumentaliserung des Problems der desparecidos als ein weiteres Mittel im Kampf der Kirchner-Regierung gegen die ihnen nicht genehme Mediengruppe. Und nicht nur sie sehen das so. Als Ende letzten Jahres der Kongress mit den Stimmen der Regierungsfraktion, kurz bevor diese die Mehrheit verlor, ein Gesetz verabschiedete, dass auch solche Adoptivkinder sich einem Gentest unterziehen müssen, die das nicht wollen, sprach die Öffentlichkeit unverhohlen von einem Lex Clarín. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes wird politischem Kalkül geopfert. Wenig von diesem bedenklichen Aspekt der an sich notwendigen Aufarbeitung der Geschichte verschwundener Eltern und adoptierter Kinder gelangt an die internationale Öffentlichkeit. In den Erinnerungsbüchern auch denen, die in diesem Argentinienjahr der Frankfurter Buchmesse auf Deutsch erscheinen, ist von den traurigen Fällen wirklich untergeschobener Kinder die Rede.
Das politische Minenfeld, das die Aufklärung dieses Themas erschwert, bleibt außen vor.

17. April 2010

Ohne Eile

Mit Erstaunen, wenn nicht Befremden verzeichnete La Nación, dass Angela Merkel anlässlich des Nuklear-Gipfels vor einigen Tagen in Washington zur von ihr einberufenen Pressekonferenz mit extremer Pünktlichkeit erschien. Über solche deutschen Unsitten kann ein Argentinier nur den Kopf schütteln. Wer wird schon die Veranstalter, die Gastgeber, die Mitbeteiligten damit beschämen, dass er vor ihnen da ist. So wartet lieber jeder auf den anderen, und alles fängt halt etwas später an. Das Später kann sich dehnen, über einer Stunde würde man aber von Verspätung reden. Man hält das hierzulande für die menschenfreundlichere und höflichere Variante. Ob es das wirklich ist, darf bezweifelt werden. Denn rechnen kann man mit der Verspätung nie. So geht man nur ein wenig später zur Verabredung und wartet. Wie viel einfacher wäre es für alle Beteiligten, denkt die unverbesserliche Deutsche, wenn man sich darauf verständigte, den anberaumten Termin ernst zu nehmen.

Als ich kürzlich zu einem Geburtstag eingeladen war, beschwor mich die Gastgeberin angesichts meines Rufs als pünktliche Deutsche, wie mir schien, ich solle bitte ohne Eile kommen. So ging ich 3o Minuten später hin, um die Gastgeber nicht in Verlegenheit zu bringen, nur um fast alle Gäste schon am Geburtstagstisch bei der Vorspeise versammelt zu finden. Ich entschuldigte mich für meine Verspätung und dachte an den Reklamespruch, den ich auf der Taxifahrt dorthin gelesen hatte. Ein privater Limousinendienst warb: El tiempo perdido es parte de su vida / Die verlorene Zeit ist Teil ihres Lebens.

15. April 2010

Gottes eigenes Land

http://www.boersenblatt.net/ Heft 15: Beilage Plus Sport

Text Edith Werner

Die beste Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten hat Südafrika angekündigt. Ein Blick hinter die Kulissen – und auf Menschen voller Erwartung.

Wenn am 11. Juni im Soccer City Stadion von Johannesburg der Anpfiff zu den ersten Fußballweltmeisterschaften auf afrikanischem Boden ertönt, werden sich die ewigen Zweifler die Augen reiben.

Ist dies das Land der erst vor einem guten Jahrzehnt überwundenen Apartheid, von Armut, Aids und Verbrechen geplagt? Südafrika hat viele Gesichter. Sauertöpfische oder grimmige sind kaum darunter. Seit langem sind alle Anstrengungen auf das eine Ziel ausgerichtet worden: Der Welt zu zeigen, dass Südafrika mitspielen kann und das nicht nur im Fußball.

20 Jahre sind vergangen, seit der letzte Burenpräsident de Klerk die Apartheidpolitik beendete, Mandela den Schritt in die Freiheit tat und bald darauf der erste schwarze Präsident Südafrikas wurde. Überlebensgroß steht er in Bronze mitten im Sandton Centre, in der angesagten Shopping-Meile von Johannesburgs CBD. Eine Gruppe von Teenagern albert drum herum. Verstohlen fasst ihn ein Mädchen am Daumen. Der ist schon blankgewetzt von all den Händen, die den weltlichen Heiligen Südafrikas berühren wollen.

In den 15 Jahren seit dem Ende des alten Regimes ist viel erreicht worden. Südafrika gab sich eine vorbildlich demokratische Verfassung. Der Übergang zur neuen Regierung verlief weitgehend friedlich. Keiner der bisherigen Präsidenten versuchte, seine Herrschaft zu verewigen. Pressefreiheit und Rechtssicherheit sind im Wesentlichen gewährleistet.

Auch wirtschaftlich ging es bergauf. Der regierende ANC, obwohl im Dauerbündnis mit Gewerkschaften und Kommunistischer Partei, hat der Versuchung widerstanden, eine sozialistische Staatswirtschaft zu errichten und Umverteilung durch Enteignungen zu forcieren. So konnte sich das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren sehen lassen. Südafrika ist allen anderen Sub-Sahara-Ländern an Prosperität und Stabilität voraus. Dabei halfen die gute Infrastruktur, die der ANC von seinen Vorgängern übernehmen konnte und der Boom der Rohstoffpreise.

Eine schwarze Mittelklasse ist entstanden, die wenn auch noch klein, vor allem in Johannesburg nicht zu übersehen ist. Die Buppies, die Black Urban Professionals, strömen zur Lunchzeit aus ihren Bürotürmen und füllen die schicken Restaurants der neuen Geschäftsviertel. In Soweto, dem größten Township von Johannesburg, drängen sich zwar meistens noch winzige Häuschen und Hütten aneinander, doch kann man auch stattliche Villen sehen. Gewimmel herrscht unter der Lichtkuppel der Maponya Mall bis spät in den Abend hinein. Der größte Konsumtempel Südafrikas steht mitten im Township. „Ich habe mir einen Traum erfüllt“, sagte Richard Maponya, der 82-jährige Besitzer. Mit einem Handkarren hatte er als fliegender Händler vor Jahrzehnten angefangen.

Eine Gruppe von Zulufrauen mit ihren wagenradgroßen, tomatenroten Hüten umlagert in Durbans quirligem Zentrum einen Stand mit Telefon. Nicht jeder hat ein Mobiltelefon. Da ist Telefonzeit verkaufen eine Geschäftsidee für den Straßenhandel. Die Frauen sind zu einer Folkloreschau unterwegs. Getragen werden die malerischen Zulukappen und die Gewänder aus anderen Provinzen fast nur noch zu festlichen Anlässen. So gleicht die jährliche Eröffnung der Sitzungsperiode im Kapstädter Parlament einem Trachtendefilee. Südafrika sieht sich als Regenbogennation, vereint es doch eine Vielzahl von Völkern mit unterschiedlichen kulturellen Traditionen. Neben Xhosa, Zulu und Sotho um nur die Hauptgruppen der schwarzen Bevölkerung zu nennen, moslemische Kapmalaien, von der Urbevölkerung abstammende Namas, afrikaanse und englischstämmige Europäer sowie Inder. Das bunte Gemisch verträgt sich im Großen und Ganzen gut. Gewalttätige Zusammenstöße wie etwa in Kenia oder Nigeria gibt es nicht. 2008 kam es allerdings zu tödlichen Angriffen auf Flüchtlinge aus afrikanischen Nachbarländern, die Südafrika in seinem Selbstverständnis als offenes und tolerantes Gemeinwesen erschütterten. Spannungen herrschen noch zwischen Schwarz und Weiß, wenn es um Einfluss in Politik und Wirtschaft geht. Immerhin konnte 2009 mit der deutschstämmigen Helen Zille erstmals eine weiße Oppositionspolitikerin mit dem Westkap eine Provinz erobern.

Für sie bleibt noch viel zu tun. Wer vom hochmodernen Kapstädter Flughafen in die Innenstadt fährt, passiert die Reihen ärmlicher Hütten und Bretterverschläge am Rande der Townships Kayelitsha und Nyanga. Weiterhin ist die Schere zwischen Arm und Reich groß. Die drei fatalen A, Armut, Arbeitslosigkeit und Aids konnte keine der bisherigen Regierungen in den Griff bekommen. Zwischen 30 und 40 % liegt die Arbeitslosenrate. Jeden Morgen sammeln sich Gruppen von jungen Männern an den Straßenecken der besseren Wohnviertel auf der Suche nach ein paar Stunden Arbeit. „Wenn ich bis Mittags nichts gefunden habe, laufe ich nach Hause“, sagt Kgomotso. So spart er die fünf Rand für den Kleinbus. Zwei Stunden ist er unterwegs. Die Ringe der Armensiedlungen um alle Städte gehören zu Südafrika ebenso wie die bewachten Luxuswohnkomplexe und die Einkaufspaläste. In der Bekämpfung von Aids wurde unter Mbeki viel Zeit verschenkt. Die unanfechtbare Stellung des ANC, verbunden mit Defiziten in der Ausbildung, trägt zu ineffizienten und aufgeblähten Verwaltungsstrukturen und zu Korruption bei. Für alle Missstände dient die Apartheid als Sündenbock. „Wir haben eine Verfassung der Ersten Welt, handeln aber oft wie die Dritte Welt“, hört man klagen. „Gebt uns Zeit“, entgegnet Desmond Tutu, der frühere anglikanische Oberhirte und Freiheitskämpfer, „wir sind als Demokratie erst 15 Jahre alt“. Dabei nimmt er selbst kein Blatt vor den Mund wenn es gilt, Machtmissbrauch der neuen Elite anzuprangern.

Auch der Kampf gegen die Gewaltkriminalität muss erst noch gewonnen werden. Südafrika steht in der Mordstatistik weit oben, Tendenz allerdings fallend. Zur Fußball-WM werden 40.000 Polizisten zusätzlich auf die Straßen geschickt. WM-Chefmanager Danny Jordaan schiebt Bedenken beiseite. Schließlich ist es nicht das erste internationale Sportereignis, das Südafrika ausrichtet. Beim Confederations Cup 2009 konnte geprobt werden. Touristen sind von Kriminalität ohnehin weniger betroffen als Einheimische.

Gedrückte Stimmung herrscht nirgends. In einer Befragung sagten mehr als 70 %, sie seien stolz auf ihr Land und glücklich, Südafrikaner zu sein; eine Zustimmungsrate, von der manches weiter entwickelte Land nur träumen kann. Ihr Optimismus und ihre Fähigkeit, aus allem das Beste zu machen, ist eine der liebenswertesten Eigenschaften der Südafrikaner. Südafrikas größtes Kapital sind seine Menschen.

44.000 strömen im neuen Green Point Stadion zu einem Bittgottesdienst einige Wochen vor der WM zusammen. Eine gelungene Generalprobe. Wie eine riesige fliegende Untertasse ist die elegante Schüssel an der Kapstädter Atlantikküste gelandet. Die Vuvuzela, die knallbunte Tröte, die jedes Fußballspiel zu einem ohrenbetäubenden Konzert macht, bleibt für diesmal zuhause. Statt Getöse gibt es ein gemeinsames Gebet. Südafrikaner sind nicht nur religiös, sie sind auch überzeugt, in „God´s own country“ zu leben. Kann man es ihnen verdenken? Bilderbuchschön ist die Aussicht vom Stadion übers Meer und zum Tafelberg.

Befragt, was er sich vom World Cup verspreche, muss Sipho, Parkwächter an der Corniche von Camps Bay, nicht lange überlegen. „Ey Mann, fette Kohle.“ Er selbst sieht sich die Spiele lieber im Fernsehen an. Die Karten sind ihm zu teuer. Ein wenig vom Geldsegen wird auch bei ihm hängen bleiben. Schon jetzt hat er mit den silbern glänzenden Mercs, wie die Autos mit dem Stern hier heißen, und den BMW Cabrios, die an der Flaniermeile Kapstadts am Meer auf der Suche nach einem Parkplatz vorbeisurren, alle Hände voll zu tun. Im Juni und Juli wird Hochkonjunktur sein.

13. April 2010

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

Mit allen Mitteln versucht die Regierung Kirchner, die regierungskritische Presse weiterhin zu behindern. Manche dieser Winkelzüge grenzen ans Komische. Seit einem Monat hat der Büroleiter der Präsidentin angeordnet, die Tageszeitungen La Nacion und Clarín nicht mehr zu beziehen. Sparsamkeit wird im sonst recht ausgabenfreudigen Umfeld der Präsidentin als Grund genannt. Es handelt sich ja nur um die beiden größten und angesehensten Zeitungen des Landes. Dass die Präsidentin selbst hinter dieser Anordnung steht, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Sie erfährt sicher nicht gerne, was dort über ihren Regierungsstil geschrieben wird. Gelesen werden die Zeitungen, so hört man, vom Personal der Casa Rosada trotzdem - heimlich.

11. April 2010

Pferderepublik II

Argentinische Pferde sind zur Zeit in Buenos Aires nicht nur in patriotischen Defilés unterwegs. Sie versammeln sich auch auf dem Gelände der Landwirtschaftsmesse La Rural in Palermo zwecks Geschäft. Besonders die argentinischen Züchtungen Polo und Criollo erfreuen sich steigender Beliebtheit. 1110 Züchter haben sich auf diese Rassen spezialisiert. Die gerade stattfindende jährliche Leistungsschau Nuestros Caballos verzeichnet neue Rekorde. Mit 800 Millionen Dollar machen Pferdezucht und -handel 5% des landwirtschaftlichen Nationalprodukts aus. Langjährige Zuchterfahrung, gutes Weideland und niedrige Kosten sind das Geheimnis. Brasilianer, Kolumbianer, Kanadier, US-Amerikaner und neuerdings auch Chinesen sind unter den Käufern. Hinzu kommt eine starke Stellung Argentiniens in der Araber-Zucht.

Ohne Show kein Business. So gibt es bei Nuestros Caballos viel zu sehen. Vom Rodeo über Kutschenrennen, farbenpächtigem Defílé der Peruanos de Paso, der Pferde mit dem 4. Gang, bis zur spannenden Auktion ist alles dabei. Am meisten Zuschauer ziehen die Gauchos auf ihren zugleich stämmigen und wendigen Caballos Criollos auf der Pista Central an. Zum allgemeinen Gaudi treiben sie in einer Endlosschleife kleine schwarze Rinder in den Pferch. Die Silberknäufe der Messer blitzen in den Gürteln, die Ponchos hängen malerisch über der Schulter. Breitkrempige schwarze Sombreros beschatten die Gesichter. Für einmal sind die Männer schöner herausgeputzt als die sie begleitenden Frauen.

Mein persönliches Highlight ist die Vorführung der Araber auf einem Nebenschauplatz. Zu beschwingter Musik galloppieren die eleganten, nervigen Pferde durch die Manege. Qué bello, bello! Qué hermosura! Olé! Van volando como una gavota! Die Ausrufe der Bewunderung und Begeisterung bei den Zuschauern nehmen kein Ende. Meine Favoritin, eine junge, rehäugige Grauschimmeldame, gewinnt. Am liebsten nähme ich sie gleich mit.

Wer wollte da nicht Fan sein, zusammen mit über 3.000 anderen erklärten Fans. Auch argentinische Pferde gehen mit der Zeit und plaudern neuestens in Facebook.

Foto La Nacion, 10.4.2010



6. April 2010

Pferderepublik I

Nicht nur die Menschen feiern das Bicentenario, 200 Jahre Republik Argentinien. Getreu der Gauchotradition, die zumindest bei Festtagen und im kollektiven Gedächtnis immer noch eine große Rolle spielt, sollen die vierbeinigen Freunde nicht abseit stehen. Im Land von Polo und Pato, dem rustikalen Reiterhandball, sind Pferde nie ganz fern. Die Countries, ländliche Sicherheits-Wohnsiedlungen, die rund um Buenos Aires wie Pilze aus dem Boden schießen, werben gerne damit, dass man Pferde unterbringen könne und einen gepflegte Polorasen vorfinde.

So kann es kaum verwundern, dass zur Einstimmung auf die Feierlichkeiten des Bicentenario, die am 25. Mai ihren Höhepunkt erleben werden, eine Kavalkade von Pferden mitten durch die Stadt geführt wurde. 300 edle Rösser aus argentinischer Züchtung defilierten am Ostersonntag vom Stadtviertel Palermo, das mit Rennbahn und Poloplatz ohnehin pferdegewohnt ist, bis in die Innenstadt und trabten schließlich eine Ehrenrunde rund um den Obelisken herum.

Foto La Nación, 5.4.2010

5. April 2010

In Erwartung


Nun sind es nur noch gut sieben Wochen. Dann ist es endlich soweit. Der größte und schönste Kulturtempel von Buenos Aires, wenn nicht von ganz Südamerika, das Opernhaus Teatro Colón, an dem schon Caruso gesungen hat, wird wiedereröffnet werden. Jahre lang war es umgebaut worden. Etliche Direktoren wurden verschlissen. Immer wieder gab es Rückschläge und Planungschaos. Jetzt aber wurde ein wichtiger Schritt voran getan. Der prächtige historische Bühnenvorhang, für dessen Erhalt sich kein geringerer als Placido Domingo eingesetzt hatte, wurde, restauriert, wieder aufgehängt. Das war der Nación eine langen Artikel wert, denn was im Teatro Colón passiert, interessiert jeden Porteno. Genüsslich berichtete die Zeitung, 20 Arbeiter seien nötig gewesen, um den Samtvorhang von 1936 zu montieren, dessen beide Teile je 360 m² mäßen und 700 Kilo wögen.

Am 24. Mai, einen Tag vor dem offiziellen Festakt der Regierung zum Jahrestag des Bicentenario, wird die feierliche Wiederöffnung sein, nachdem man die 100 Jahr-Feier des Theaters 2008 wegen der andauernden Umbauquerelen verpasst hatte. Wir erwarten Sie wirbt das Colon seit Wochen mit großen Plakaten überall in der Stadt. Sehen und gesehen werden ist die Devise, über die sich nur ernsthafte Musikkritiker ein wenig mokieren. Alle anderen freuen sich auf das gesellschaftliche Großereignis der Stadt.
Fotos La Nación, 1.4.2010

4. April 2010

Im Modus irrealis II

Marcos Aguinis, Intellektueller und Publizist, dessen Werke Bestsellerauflagen erreichen, ist überzeugt, Argentinien sei das Land mit dem größten Potential innerhalb Lateinamerikas. Der Autor des Buches Vom seltsamen Vergnügen, Argentinier zu sein sieht sein Land ganz vorne in puncto natürliche und menschliche Resourcen, wie er der Zeitung La Nación, Sonntagsbeilage LNR, in einem Interview vom 28.3.2010 anvertraute. Damit steht er nicht allein. Wo immer man von Argentiniern Klagen hört, wie sehr alles im Argen liege, wie wenig das Land vorankomme, folgt die fast trotzig vorgebrachte Versicherung aber Argentinien ist ein Land mit großem Potential.

Der unbefangene Betrachter fragt sich, worin es denn bestehe und warum sich in den letzten 80 Jahren so wenig davon materialisiert habe. Sollte es daran liegen, dass Buenos Aires - und in der Hauptstadt spielt sich alles Wichtige ab - auch gerne la capital de los projectos incomplidos, die Kapitale der unvollendeten Projekte genannt wird?

Dann wäre zu befürchten, dass Potential hier weniger im Sinne der so karriereträchtigen High Potentials zu verstehen sei, als im Verständnis des Maklerspruchs, nachdem ein Haus, das eigentlich von Grund auf renoviert gehört, eine Immobilie mit großem Potential sei. Und so hätten wir es einmal mehr mit dem umfassenden Möglichkeitssinn der Argentinier zu tun, der selbst die Wirklichkeit vereinnahmt.

3. April 2010

Christus war Porteno


Hoch über einem Meer von Menschen und von Lichtern schwankten sie gestern langsam von der Plaza del Congreso auf die Kathedrale an der Plaza de Mayo zu, der Gekreuzigte und Maria die Schmerzensreiche. 40.000 Gläubige waren zur Karfreitagsprozession zusammengeströmt. Keine Piquete brachte wohl je solche Menschenmassen auf die Beine. Weihbischof Eduardo García vom portensischen Klerus hattte den Ton angegeben mit seiner kurzen Predigt zu Beginn, in der er der Obdachlosen, der bettelnden Kinder und der blutjungen Prostituierten an den Bahnhöfen gedachte. Auch für sie gab er das Gebet vor, das als vielstimmiger Chor die Prozesson begleitete. Wir müssen wiedergeboren werden. Immer dringlicher mahnt die Kirche bei der Regierung an, in der Armutsbekämpfung ihren Lippenbekenntnissen Taten folgen zu lassen.

Schon Stunden vorher sammelten sich die Ersten vor der Tribüne unterhalb meines Fensters auf dem Kongressplatz. Händler gingen durch die Reihen, velas, velas, Kerzen priesen sie ihre Ware an. Andere verkauften kandierte Erdnüsse, Empanadas und Armbänder mit kleinem Holzkreuz. Ein rundlicher Alter war am besten im Geschäft. Vor seinem Bauch eine Münzkasse, wie sie früher die Straßenbahnschaffner trugen, hielt er ein Bündel blauweißer Bänder hoch. Argentina Jesus Te Ama konnte man bald an vielen Stirnen lesen.

Umringt von Fernsehkameras und Kindern, die sich durch die Absperrung gemogelt hatten, stand Jesus in Fleisch und Blut auf der Bühne, die mit den Logos der Sponsorenfirmen aufwartete, wusch seinen Jüngern die Füße und bekehrte den Pharisäer Nicodemus. Nach solch sinnlich-greifbarer Einstimmung setzte sich der Zug langsam in Bewegung und folgte einem ellenlagen Holzkreuz, das ein Dutzend Männer in ihrer Mitte trugen, und der Christusstatue auf ihrem Kreuzweg.


Die Semana Santa ist einer der Höhepunkte im argentinischen Festkalender. So waren die Hotels in Lujan, dem bedeutendsten Pilgerort, mit seiner Madonna von Lujan, der argentinischen Schutzheiligen, sowie in Tandil und Gualeguaychú mit ihren farbenprächtigen Prozessionen schon lange ausgebucht.

Praktischen Rat wusste ihren Lesern fürsorglich die Zeitung La Nación zu spenden. Man solle vorm Fischessen genau prüfen, ob der Fisch auch frisch sein. Kein unnützer Rat, kommt es doch alljährlich in der Karwoche bei den völlig auf Fleisch programmierten Argentiniern zu Fischvergiftungen.


Foto der Prozession: La Nacion, 3.4.2010