30. April 2010
Indianerdämmerung zum Totlachen
Autorin, Regisseurin und Akteurin Mariana Chaud, unterstützt von Leandro Halperín, gelingt es, die Geschichte eines so tragischen wie unausweichlichen Niedergangs als Burleske zu erzählen, ohne dass die Fallhöhe von den Lachern eingeebnet wird. Cohanaco und Patitas, eine seiner Frauen, haben anrührende Momente, wenn sie das Neue zu umarmen versuchen ohne das Alte aufzugeben. Die Zukunft ist wie ein Kondor, er setzt sich nieder und fliegt davon, wenn man ihn halten will, ist Cohanacos lebensweises Fazit.
Szenenfoto aus dem Programmheft
29. April 2010
Das Fest des Buches III
27. April 2010
Das Fest des Buches II
Hintergrund der Debatte im sich zuspitzenden Pressekrieg ist ein anonymes Plakat aus den letzten Tagen, auf dem bekannte Journalisten mit Foto und Namen gezeigt und als ehemalige Handlanger der Militärdiktatur denunziert werden, u.a. weil sie bei einer Zeitung arbeiteten (Clarín), deren Herausgeberin vermutlich Kinder von desaparecidos adoptiert habe (siehe dazu Blogeintrag Zwangs"beglückung" vom 23.4.2010) Für Donnerstag dieser Woche haben die Madres de la Plaza de Mayo, die sich unter ihrer Chefin Hebe de Bonafini zu einer kirchnertreuen Kampftruppe entwickelt haben, zu einem öffentlichen Tribunal gegen dieselben Journalisten auf der Plaza de Mayo aufgerufen. Anibal Fernandez, der als Kabinettchef eigentlich über der Debatte stehen sollte, ließ sich kürzlich mit einem T-Shirt fotografieren, auf dem das Wahrzeichen von Clarín, ein Mann mit Fanfare, zu Boden gestürzt ist.
Das Klima der Intoleranz und die Tiefe der ideologischen Spaltung der argentinischen Gesellschaft zeigt ein anderer Vorfall auf der Messe vom selben Tag. Eine Gruppe von Demonstranten versuchte, die Vorstellung eines Buches zu verhindern, in dem Kritik am INDEC, dem nationalen Amt für Statistik geübt wird, das schon seit Jahren neuralgische Daten wie die Statistiken für Arbeitslosigkeit, Inflation und Armut schönfärbt und vom Internationalen Währungsfonds wiederholt kritisiert wurde. Beatrice Sarlo, bekannte linksliberale Publizistin und u.a. ein Jahr Gast des Wissenschaftskollegs in Berlin, sagte vom Podium aus, die Demonstration zeige, wie notwendig die politische Debatte um das Amt für Statistik sei.
Angesichts der aktuellen Misere stehen große Teile der Messe ganz im Zeichen der Nostalgie. Im Jahr des Bicentenario findet sie unter dem Motto Festejar con Libros 200 Anos de Historia statt. So gibt es eine Fülle von Neuerscheinungen zu Argentiniens Geschichte und viele schöne Bildbände im Geiste nationaler Erbauung. Bücher über die Helden der Unabhängigkeitskriege, San Martín und Belgrano, über das spezifisch argentinische Amalgam aus weitem Land, Gauchos, Pferden und Traditionsliebe, das man gerne als Criollo bezeichnet, Künstlerbücher zur Zweihundertjahrfeier, wer in Argentinischem schwelgen will, wird heuer reich bedient.
Karikatur : La Nación, 27.4.2010: " Sieh mal, was ich mir für ein Riesenbuch auf der Feria del Libro gekauft habe." - "Großartig. Worum geht es denn darin?" - "Keine Ahnung. Ich benutze es als Schutzschild, wenn ich zu Buchvorstellungen gehe, in denen die Regierung kritisiert wird."
Foto Anibal Fernandez: Noticias, 24.4.2010
Foto INDEC-Demonstranten: La Nación, 26.4.2010
Zeichnung Bicentenario: Clarín-Beilage N, 24.4.2010
25. April 2010
Das Fest des Buches I
23. April 2010
Zwangs"beglückung"
Sie sehen in dem Verfahren eine politische Instrumentaliserung des Problems der desparecidos als ein weiteres Mittel im Kampf der Kirchner-Regierung gegen die ihnen nicht genehme Mediengruppe. Und nicht nur sie sehen das so. Als Ende letzten Jahres der Kongress mit den Stimmen der Regierungsfraktion, kurz bevor diese die Mehrheit verlor, ein Gesetz verabschiedete, dass auch solche Adoptivkinder sich einem Gentest unterziehen müssen, die das nicht wollen, sprach die Öffentlichkeit unverhohlen von einem Lex Clarín. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes wird politischem Kalkül geopfert. Wenig von diesem bedenklichen Aspekt der an sich notwendigen Aufarbeitung der Geschichte verschwundener Eltern und adoptierter Kinder gelangt an die internationale Öffentlichkeit. In den Erinnerungsbüchern auch denen, die in diesem Argentinienjahr der Frankfurter Buchmesse auf Deutsch erscheinen, ist von den traurigen Fällen wirklich untergeschobener Kinder die Rede.
Das politische Minenfeld, das die Aufklärung dieses Themas erschwert, bleibt außen vor.
17. April 2010
Ohne Eile
Als ich kürzlich zu einem Geburtstag eingeladen war, beschwor mich die Gastgeberin angesichts meines Rufs als pünktliche Deutsche, wie mir schien, ich solle bitte ohne Eile kommen. So ging ich 3o Minuten später hin, um die Gastgeber nicht in Verlegenheit zu bringen, nur um fast alle Gäste schon am Geburtstagstisch bei der Vorspeise versammelt zu finden. Ich entschuldigte mich für meine Verspätung und dachte an den Reklamespruch, den ich auf der Taxifahrt dorthin gelesen hatte. Ein privater Limousinendienst warb: El tiempo perdido es parte de su vida / Die verlorene Zeit ist Teil ihres Lebens.
15. April 2010
Gottes eigenes Land
Text Edith Werner
Die beste Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten hat Südafrika angekündigt. Ein Blick hinter die Kulissen – und auf Menschen voller Erwartung.
Wenn am 11. Juni im Soccer City Stadion von Johannesburg der Anpfiff zu den ersten Fußballweltmeisterschaften auf afrikanischem Boden ertönt, werden sich die ewigen Zweifler die Augen reiben.
Ist dies das Land der erst vor einem guten Jahrzehnt überwundenen Apartheid, von Armut, Aids und Verbrechen geplagt? Südafrika hat viele Gesichter. Sauertöpfische oder grimmige sind kaum darunter. Seit langem sind alle Anstrengungen auf das eine Ziel ausgerichtet worden: Der Welt zu zeigen, dass Südafrika mitspielen kann und das nicht nur im Fußball.
20 Jahre sind vergangen, seit der letzte Burenpräsident de Klerk die Apartheidpolitik beendete, Mandela den Schritt in die Freiheit tat und bald darauf der erste schwarze Präsident Südafrikas wurde. Überlebensgroß steht er in Bronze mitten im Sandton Centre, in der angesagten Shopping-Meile von Johannesburgs CBD. Eine Gruppe von Teenagern albert drum herum. Verstohlen fasst ihn ein Mädchen am Daumen. Der ist schon blankgewetzt von all den Händen, die den weltlichen Heiligen Südafrikas berühren wollen.
In den 15 Jahren seit dem Ende des alten Regimes ist viel erreicht worden. Südafrika gab sich eine vorbildlich demokratische Verfassung. Der Übergang zur neuen Regierung verlief weitgehend friedlich. Keiner der bisherigen Präsidenten versuchte, seine Herrschaft zu verewigen. Pressefreiheit und Rechtssicherheit sind im Wesentlichen gewährleistet.
Auch wirtschaftlich ging es bergauf. Der regierende ANC, obwohl im Dauerbündnis mit Gewerkschaften und Kommunistischer Partei, hat der Versuchung widerstanden, eine sozialistische Staatswirtschaft zu errichten und Umverteilung durch Enteignungen zu forcieren. So konnte sich das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren sehen lassen. Südafrika ist allen anderen Sub-Sahara-Ländern an Prosperität und Stabilität voraus. Dabei halfen die gute Infrastruktur, die der ANC von seinen Vorgängern übernehmen konnte und der Boom der Rohstoffpreise.
Eine schwarze Mittelklasse ist entstanden, die wenn auch noch klein, vor allem in Johannesburg nicht zu übersehen ist. Die Buppies, die Black Urban Professionals, strömen zur Lunchzeit aus ihren Bürotürmen und füllen die schicken Restaurants der neuen Geschäftsviertel. In Soweto, dem größten Township von Johannesburg, drängen sich zwar meistens noch winzige Häuschen und Hütten aneinander, doch kann man auch stattliche Villen sehen. Gewimmel herrscht unter der Lichtkuppel der Maponya Mall bis spät in den Abend hinein. Der größte Konsumtempel Südafrikas steht mitten im Township. „Ich habe mir einen Traum erfüllt“, sagte Richard Maponya, der 82-jährige Besitzer. Mit einem Handkarren hatte er als fliegender Händler vor Jahrzehnten angefangen.
Eine Gruppe von Zulufrauen mit ihren wagenradgroßen, tomatenroten Hüten umlagert in Durbans quirligem Zentrum einen Stand mit Telefon. Nicht jeder hat ein Mobiltelefon. Da ist Telefonzeit verkaufen eine Geschäftsidee für den Straßenhandel. Die Frauen sind zu einer Folkloreschau unterwegs. Getragen werden die malerischen Zulukappen und die Gewänder aus anderen Provinzen fast nur noch zu festlichen Anlässen. So gleicht die jährliche Eröffnung der Sitzungsperiode im Kapstädter Parlament einem Trachtendefilee. Südafrika sieht sich als Regenbogennation, vereint es doch eine Vielzahl von Völkern mit unterschiedlichen kulturellen Traditionen. Neben Xhosa, Zulu und Sotho um nur die Hauptgruppen der schwarzen Bevölkerung zu nennen, moslemische Kapmalaien, von der Urbevölkerung abstammende Namas, afrikaanse und englischstämmige Europäer sowie Inder. Das bunte Gemisch verträgt sich im Großen und Ganzen gut. Gewalttätige Zusammenstöße wie etwa in Kenia oder Nigeria gibt es nicht. 2008 kam es allerdings zu tödlichen Angriffen auf Flüchtlinge aus afrikanischen Nachbarländern, die Südafrika in seinem Selbstverständnis als offenes und tolerantes Gemeinwesen erschütterten. Spannungen herrschen noch zwischen Schwarz und Weiß, wenn es um Einfluss in Politik und Wirtschaft geht. Immerhin konnte 2009 mit der deutschstämmigen Helen Zille erstmals eine weiße Oppositionspolitikerin mit dem Westkap eine Provinz erobern.
Für sie bleibt noch viel zu tun. Wer vom hochmodernen Kapstädter Flughafen in die Innenstadt fährt, passiert die Reihen ärmlicher Hütten und Bretterverschläge am Rande der Townships Kayelitsha und Nyanga. Weiterhin ist die Schere zwischen Arm und Reich groß. Die drei fatalen A, Armut, Arbeitslosigkeit und Aids konnte keine der bisherigen Regierungen in den Griff bekommen. Zwischen 30 und 40 % liegt die Arbeitslosenrate. Jeden Morgen sammeln sich Gruppen von jungen Männern an den Straßenecken der besseren Wohnviertel auf der Suche nach ein paar Stunden Arbeit. „Wenn ich bis Mittags nichts gefunden habe, laufe ich nach Hause“, sagt Kgomotso. So spart er die fünf Rand für den Kleinbus. Zwei Stunden ist er unterwegs. Die Ringe der Armensiedlungen um alle Städte gehören zu Südafrika ebenso wie die bewachten Luxuswohnkomplexe und die Einkaufspaläste. In der Bekämpfung von Aids wurde unter Mbeki viel Zeit verschenkt. Die unanfechtbare Stellung des ANC, verbunden mit Defiziten in der Ausbildung, trägt zu ineffizienten und aufgeblähten Verwaltungsstrukturen und zu Korruption bei. Für alle Missstände dient die Apartheid als Sündenbock. „Wir haben eine Verfassung der Ersten Welt, handeln aber oft wie die Dritte Welt“, hört man klagen. „Gebt uns Zeit“, entgegnet Desmond Tutu, der frühere anglikanische Oberhirte und Freiheitskämpfer, „wir sind als Demokratie erst 15 Jahre alt“. Dabei nimmt er selbst kein Blatt vor den Mund wenn es gilt, Machtmissbrauch der neuen Elite anzuprangern.
Auch der Kampf gegen die Gewaltkriminalität muss erst noch gewonnen werden. Südafrika steht in der Mordstatistik weit oben, Tendenz allerdings fallend. Zur Fußball-WM werden 40.000 Polizisten zusätzlich auf die Straßen geschickt. WM-Chefmanager Danny Jordaan schiebt Bedenken beiseite. Schließlich ist es nicht das erste internationale Sportereignis, das Südafrika ausrichtet. Beim Confederations Cup 2009 konnte geprobt werden. Touristen sind von Kriminalität ohnehin weniger betroffen als Einheimische.
Gedrückte Stimmung herrscht nirgends. In einer Befragung sagten mehr als 70 %, sie seien stolz auf ihr Land und glücklich, Südafrikaner zu sein; eine Zustimmungsrate, von der manches weiter entwickelte Land nur träumen kann. Ihr Optimismus und ihre Fähigkeit, aus allem das Beste zu machen, ist eine der liebenswertesten Eigenschaften der Südafrikaner. Südafrikas größtes Kapital sind seine Menschen.
44.000 strömen im neuen Green Point Stadion zu einem Bittgottesdienst einige Wochen vor der WM zusammen. Eine gelungene Generalprobe. Wie eine riesige fliegende Untertasse ist die elegante Schüssel an der Kapstädter Atlantikküste gelandet. Die Vuvuzela, die knallbunte Tröte, die jedes Fußballspiel zu einem ohrenbetäubenden Konzert macht, bleibt für diesmal zuhause. Statt Getöse gibt es ein gemeinsames Gebet. Südafrikaner sind nicht nur religiös, sie sind auch überzeugt, in „God´s own country“ zu leben. Kann man es ihnen verdenken? Bilderbuchschön ist die Aussicht vom Stadion übers Meer und zum Tafelberg.
Befragt, was er sich vom World Cup verspreche, muss Sipho, Parkwächter an der Corniche von Camps Bay, nicht lange überlegen. „Ey Mann, fette Kohle.“ Er selbst sieht sich die Spiele lieber im Fernsehen an. Die Karten sind ihm zu teuer. Ein wenig vom Geldsegen wird auch bei ihm hängen bleiben. Schon jetzt hat er mit den silbern glänzenden Mercs, wie die Autos mit dem Stern hier heißen, und den BMW Cabrios, die an der Flaniermeile Kapstadts am Meer auf der Suche nach einem Parkplatz vorbeisurren, alle Hände voll zu tun. Im Juni und Juli wird Hochkonjunktur sein.
13. April 2010
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß
11. April 2010
Pferderepublik II
Ohne Show kein Business. So gibt es bei Nuestros Caballos viel zu sehen. Vom Rodeo über Kutschenrennen, farbenpächtigem Defílé der Peruanos de Paso, der Pferde mit dem 4. Gang, bis zur spannenden Auktion ist alles dabei. Am meisten Zuschauer ziehen die Gauchos auf ihren zugleich stämmigen und wendigen Caballos Criollos auf der Pista Central an. Zum allgemeinen Gaudi treiben sie in einer Endlosschleife kleine schwarze Rinder in den Pferch. Die Silberknäufe der Messer blitzen in den Gürteln, die Ponchos hängen malerisch über der Schulter. Breitkrempige schwarze Sombreros beschatten die Gesichter. Für einmal sind die Männer schöner herausgeputzt als die sie begleitenden Frauen.
Mein persönliches Highlight ist die Vorführung der Araber auf einem Nebenschauplatz. Zu beschwingter Musik galloppieren die eleganten, nervigen Pferde durch die Manege. Qué bello, bello! Qué hermosura! Olé! Van volando como una gavota! Die Ausrufe der Bewunderung und Begeisterung bei den Zuschauern nehmen kein Ende. Meine Favoritin, eine junge, rehäugige Grauschimmeldame, gewinnt. Am liebsten nähme ich sie gleich mit.
Wer wollte da nicht Fan sein, zusammen mit über 3.000 anderen erklärten Fans. Auch argentinische Pferde gehen mit der Zeit und plaudern neuestens in Facebook.
Foto La Nacion, 10.4.2010
6. April 2010
Pferderepublik I
So kann es kaum verwundern, dass zur Einstimmung auf die Feierlichkeiten des Bicentenario, die am 25. Mai ihren Höhepunkt erleben werden, eine Kavalkade von Pferden mitten durch die Stadt geführt wurde. 300 edle Rösser aus argentinischer Züchtung defilierten am Ostersonntag vom Stadtviertel Palermo, das mit Rennbahn und Poloplatz ohnehin pferdegewohnt ist, bis in die Innenstadt und trabten schließlich eine Ehrenrunde rund um den Obelisken herum.
Foto La Nación, 5.4.2010
5. April 2010
In Erwartung
4. April 2010
Im Modus irrealis II
Der unbefangene Betrachter fragt sich, worin es denn bestehe und warum sich in den letzten 80 Jahren so wenig davon materialisiert habe. Sollte es daran liegen, dass Buenos Aires - und in der Hauptstadt spielt sich alles Wichtige ab - auch gerne la capital de los projectos incomplidos, die Kapitale der unvollendeten Projekte genannt wird?
Dann wäre zu befürchten, dass Potential hier weniger im Sinne der so karriereträchtigen High Potentials zu verstehen sei, als im Verständnis des Maklerspruchs, nachdem ein Haus, das eigentlich von Grund auf renoviert gehört, eine Immobilie mit großem Potential sei. Und so hätten wir es einmal mehr mit dem umfassenden Möglichkeitssinn der Argentinier zu tun, der selbst die Wirklichkeit vereinnahmt.