25. Juli 2010
Personenkult
Da wollen die Madres der Plaza de Mayo nicht zurückstehen. Unter ihrer Chefin Hebe Bonafini haben sie sich, nicht zuletzt dank reichlich fließender finanzieller Unterstützung seitens der Regierung, zu bedingungslosen Anhängern von Nestor und Cristina Kirchner entwickelt. So nennt sich eine Gruppierung der Madres nach dem Vornamen der Präsidentin Las Cristinas.
Ein unbefangener Zugereister würde annehmen, dass die Zentralbank von Bankexperten geführt wird. Nicht so in Argentinien. Die Präsidentin, von der Regierung in einem umstrittenen Coup eingesetzt, die beiden Vizepräsidenten und alle sieben Direktoren gehören politischen Gruppierungen an, die in der Öffentlichkeit heftig diskutiert werden. Die Nähe zu einer der Gruppen definiert sich dabei nicht nach Parteizugehörigkeit, sondern nach den leitenden Figuren, denen die jeweiligen Bankmenschen verpflichtet sind. So ergibt sich eine bunte Mischung von Kirchneristas, Lavagnistas, Redadristas und weiteren istas. Da geht es doch nicht um Fachleute, oder?
Eine weitere argentinische Identifikationsfigur, Diego Maradona, dient sich derweil dem in Caudillo-Manier regierenden Staatschef von Venezuela an. Mit Huguito, Hugochen Chavez ist Maradona auf Du und Du und will ihm helfen, die nächste Wahl zu gewinnen. Vielleicht hat Dieguito als Königsmacher mehr Glück denn als Fußballtrainer.
Karikatur: La Nación, 9.6.2010
Foto: La Nación, 27.7.2010
24. Juli 2010
Calderon: Das Leben ein Traum von Blut, Schweiß und Sperma
Auf der Bühne wurde gefurzt, masturbiert und den Frauen an die Wäsche gegangen, was das Zeug hält. Damit entfernt sich der Regisseur gar nicht so weit vom Barock der Entstehungszeit des Werks. Wie oft ist etwa im Simplizissimus von genüsslichen Furzkannonaden die Rede. Für das Versdrama über Sein und Schein, Zügellosigkeit und Ordnung ist der durchweg klamaukhafte Stil allerdings gewöhnungsbedürftig. Auch die zentrale Sandarena konnte weit weniger überzeugen als einst in Peter Brooks legendärer Pariser (und Hamburger) Carmen-Inszenierung. Das kostensparend karge Bühnenbild wartete außerdem mit einem großen Holzstuhl als Thron, einem Schaukelpferd und einem riesigen Spiegel auf, der schon mal schief hing, wenn die Welt von Calderon noch nicht in Ordnung gebracht worden war. Eine etwas platte Symbolik. Natürlich traten die Mächtigen in zeitgenössischen Militärklamotten auf. Hatten wir das nicht schon oft, zu oft? Grelle Tivoli-Lichterketten über der Bühne und im Zuschauerraum lenkten vom Bühnengeschehen ab und brachten die barocke Botschaft, nach der das Leben ein Theater ist, recht schlicht rüber.
Die gute Textbeherrschung der Schauspieler und ihr geschicktes Lavieren zwischen hohem Verston und beiläufigem Sprechen reichten als Gegengewicht nicht. Furcht und Mitleid blieben aus. Zuviel wurde geschrieen , gerannt und geturnt. Schade.
Szenenphoto aus dem Programmheft
15. Juli 2010
Im Teatro Colon - kalte Pracht
Weniger genussvoll gestaltete sich das Drum und Dran. Gnadenlos ließen die Türsteher eine allmählich auf ungefähr hundert Personen anwachsende Menge im eisigen Wind dieses Winterabends draußen stehen, weil erst die Damen und Herren einer Sonderveranstaltung im Goldenen Saal hinauskomplimentiert werden mussten. Auch eine 87jährige Konzertbesucherin fand keinen Einlass in die Vorhalle. Überdies scheint die Heizung noch nicht renoviert zu sein. So liefen in der kalten Pracht der vergoldeten, von riesigen Kristalllüstern erleuchteten Wandelgänge die Besucher in Mänteln herum. Auch die Pause verhieß keinen heißen Kaffee oder ein Gläschen Schampus. Die Buffets gähnten leer und ungastlich. Wieder zeigte sich, daß Kundendienst in Argentinien ein Fremdwort ist und Schlangestehen ein nationaler Sport.
Dafür konnte ich etwas bewundern, was ich in keinem anderen Openhaus je gesehen habe. Befragt, wofür die dunklen Verließe zu beiden Seiten der Bühne am Rande des Parketts dienten, klärte mich meine Freundin auf: Früher durfte man, wenn man Trauer hatte, nicht in die Oper, erzählte sie, so kam man auf die Idee, für die armen Trauernden, die vergeblich nach Kunstgenuss lechzten, diese dunklen Verliese zu schaffen, in denen sie nicht gesehen werden, aber am Opernspektakel teilhaben konnten. Eine echt argentinische Lösung, die auch heute in vielen Bereichen gerne Anwendung findet. Wie sagte mein Bankmensch: Das Papier ist eine Sache, die Wirklichkeit eine andere.Fotos: La Nacion
11. Juli 2010
Tafeln für die Schülerreise - In der Armenischen Gemeinde
Es ist Freitagabend im Kellergeschoss der Schule Instituto Marie Manoogian im Stadtteil Belgrano. Hier in der Calle Armenia laden zweimal wöchentlich die Eltern und Schüler der Schule im armenischen Viertel von Buenos Aires zur üppigen Tafel. Die Mütter kochen, die Väter schenken Wein aus und die Schülerinnen und Schüler servieren gekonnt. Zwischendurch gibt es eine Tanzeinlage. Wer will, kann sich die Zukunft aus dem Satz des orientalischen Kaffees lesen lassen.
Mit dem Erlös von Mahmara, einer Paprikacreme mit Nüssen, Basterma, luftgetrocknetem, gewürztem Rindfleisch, Shish Kebab und Feigentorte fördern die Gäste die Schule. Bald sind Winterferien. Dann geht es mit dem erwirtschafteten Geld für die Schüler der Oberklassen auf große Europareise. Wir besuchen auch Armenien, verrät mir Stefanía, die an unserem Tisch bedient. Verständigungsprobleme wird es nicht geben, denn im Instituo Marie Manoogian wird armenisch gelehrt. Eine Plakette in der Eingangshalle erinnert an den Besuch des armenischen Präsidenten in den 90gern zweisprachig, auf Castellano und in schöner armenischer Schnörkelschrift. Baree djanapar, Gute Reise wünschen wir Stefanía nach einem gelungenen Abend.
10. Juli 2010
Viva la Patria!
Ohne präsidentiellen Glanz, aber hochgestimmt und fröhlich fand das kleine Fest in Buenos Aires statt. Wiedereinmal sass ich in der Loge, denn alles spielte sich an der Ecke von Avendia de Mayo und Plaza del Congreso ab, der eigentlich Plaza de los dos Congresos heißt, um an das erste Parlament in Tucumán zu erinnern. Hier im barrio wurde gleich doppelt gefeiert, denn die Avendia de Mayo in ihrer heutigen Gestalt wurde 116 Jahre alt. So hatten die Freunde der Avenida de Mayo geladen, war Stadtkultursekretär Hernán Lombardi erschienen, dankte ein Geistlicher der Heiligen Jungfrau und wurde die albiceleste, die Flagge, feierlich aufgezogen. Dann hatten die Folkloretänze aus der Provinz Santiago del Estéro die Bühne und tanzten in ihren malerischen Kostümen eine Chacarena und Salsa nach der anderen bis in die späten Nachmittagsstunden dieses klaren, sonnigen Wintertags. Die Caballeros in ihren Pluderhosen, den hochhackigen Stiefeln , weißen Spitzengamaschen und schwarzen Sombreros, den Poncho über der Schulter und das Messer mit Silberknauf im Gürtel, stahlen den Frauen fast die Schau.
Das Bandoneon klagte und Gitarre und Trommel schlugen den Rhythmus. Der Conferencier versicherte, in Santiago del Estero, der fernen und armen Provinz im Nordwesten, habe man viel Zeit zum Tanzen, heiße die Provinz doch wegen des Brauchs, von Mittag bis fast in den Abend hinein Siesta zu halten, auch Santiago del Descanso, Santiago des Ausruhens. Viva la Patria, viva! Mit viel Tanzfreude und Nationalstolz, aber fernab der aktuellen politischen Streitereien ging dieser portensische Nachmittag zuende.
4. Juli 2010
Relative Armut
Doch Armut ist relativ. Schaut man auf die Statistik, so steht Argentinien innerhalb Lateinamerikas nicht so schlecht da. Nach einer Untersuchung von Gallup müssen 25,3% aller Argentinier mit weniger als 2 USD pro Tag auskommen, und einer unter fünf hat keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Besser geht es aber auf dem Subkontinent nur den Chilenen. Alle anderen, selbst das prosperierende Brasilien und das gesamtwirtschaftlich potentere Mexiko, weisen noch schlechtere Ergebnisse im Armutindex auf.
Foto: Fernando Rey
Im Fußballfieber III - Kein Mundial-Effekt für die Politik
Nun kann die politische Fußball-Dividende nicht eingefahren werden. Man muss sich den Schwierigkeiten wieder direkt zuwenden, zum Beispiel dem Kampf mit dem Parlament um die Verteilung der Haushaltsmittel. Im laufenden Haushaltsjahr werden unglaubliche 35 Milliarden Pesos, das sind rund 7,1 Milliarden Euro, von der Regierung nach eigenem Gutdünken und ohne jegliche Kontrolle des Parlaments ausgegeben. Welches Ministerium, welche Provinz, welche Gemeinde was davon bekommt, entscheidet, je nach dem Wohlverhalten und der Regierungsnähe der Amtsträger, allein Präsidentengatte und Ex-Präsident Nestor Kirchner, der im Hintergrund die Fäden zieht. Dabei handelt es sich um überschüssige Einnahmen. Der reguläre Haushalt pflegt vom Parlament ohne Debatte in toto verabschiedet zu werden.
Mit den Sondervollmachten bei der Vergabe von Haushaltsmitteln will das Parlament nun Schluss machen. Die Regierung hat aber schon ihr Veto zu einem eventuellen Gesetz in dieser Richtung angekündigt. So wird wohl, zumindest bis zur nächsten Präsidentenwahl im November 2011, alles beim Alten bleiben.
Manch einer, der es nicht mit den Kirchners hält, geht sogar soweit, die argentinische Niederlage gegen Deutschland zu begrüssen. Ich wollte unser Team nicht gewinnen sehen, sagte mir ein waschechter Porteno, das hätte nur den Kirchners in die Händen gearbeitet, und den unsäglichen Maradona aufgewertet. Unsere Barabravas konnten nur von den Südafrikanern diszipliniert werden, fügte er resigniert hinzu. Die militanten argentinischen Hooligans, manche davon vorbestraft, hatten sich in Südafrika so ruppig benommen, dass einige ausgewiesen wurden. Pikant wird die Geschichte dadurch, dass etliche in ihrer Heimat sich auch als regierungstreue piqueteros, Demonstranten, 'verdient' gemacht haben.
Die Niederlage im Viertelfinale nehmen sich viele Argentinier als nationale Schmach zu Herzen. Außerhalb der Mundial und... außerhalb der Welt? titelte eine Zeitung, als wieder einmal über die zunehmende politische und wirtschaftliche Isolierung Argentiniens geklagt wurde. In der WM zu verlieren, ist eine Niederlage für den Profisport, nicht für die Nation, konterte der angesehene Wissenschaftler Mario Bunge. Seine langjährige berufliche Tätigkeit in Kanada muss abgefärbt haben. Solche nüchterne Betrachtungsweise findet man in Argentinien selbst selten.
Kariktur Nestor Kirchner neben Maradona und Messi als Fußballer: La Nación 4.7.2010
Karikatur Kampf zwischen Congreso und Regierungspalast Casa Rosada: La Nación, 4.7.2010
Gaucho-Küsse
Geküsst wird immer, nicht nur unter Freunden. Vor ein paar Tagen musste ich zum Arzt. Nach geraumer Wartezeit im überfüllten, winzigen und schlecht belüfteten Wartezimmer konnte ich endlich zum Doktor hinein. Wr sahen einander das erste Mal, denn glücklicherweise bin ich nicht Stammkundin. So hätte ich den obligaten Schmatzer fast vergessen. Nicht so der Doc! Als vorigen Winter die Grippe A ihr Unwesen trieb, wurden viele Hygienemaßnahmen diskutiert und einige sogar ergriffen. Das Küssen einzuschränken, gehörte nicht dazu.
Argentinier sehen die Küsserei gerne als Beweis ihrer warmen Herzlichkeit untereinander an. Zweifel seien erlaubt. Der Arzt behandelte mich weder freundlicher noch preiswerter als seine deutschen Kollegen und der Maler, den ich kürzlich brauchte, bedeutete mir nach dem Kussaustausch, er könne bei mir leider in den nächsten Wochen nicht tätig werden, denn der Auftrag sei zu klein. Da müsse er erst eine Lücke in seinem vollen Terminkalender finden.
Gerne gäbe die Zugereiste eine Anregung, die auch das Hygieneproblem elegant lösen würde. In Wien ist man schon lange dazu übergegangen den früher obligaten Handkuss aus der Realität in die Rhetorik zu befördern. Küss die Hand, gnä' Frau kann man gelegentlich noch hören. Ausgeführt wird es immer seltener. Sollte das die Argentinier, Meister in der Virtualität, nicht ansprechen?
Karikatur: La Nación 2.7.2010
Im Fußballfieber II - Großzügige Verlierer
Doch wie erstaunt umd gerührt war ich, als mich nach dem Spiel, das so haushoch gegen die Mannschaft meines Landes verloren worden war, der Kellner aus meinem Eckcafé, der Gemüsehändler von gegenüber und selbst Passanten auf der Straße zum deutschen Sieg beglückwünschten. Gut, dieser Muellér, sagte Faustina, Concierge in meinem Haus, anerkennend. Meine Zeitungsfrau hatte heute La Nación zusammen mit einem Extraschmankerl für mich parat. Sie habe mich gestern im Fernsehen gesehen, wo wir deutschen Fans beim gemeinsamen Spielangucken in der deutschen Botschaft gefilmt worden waren. In Argentinien ist eben alles groß, die Großmäuligkeit ebenso wie die Großzügigkeit.
Foto: La Nación 4.7.2010
3. Juli 2010
Erfolgreich gegen den Strom
2. Juli 2010
Tourismus ganz dringlich
Anlass und Begründung muten wie eine Verhöhnung des Obersten Gerichtshofs an. Der hatte erst vor einigen Wochen entschieden, dass die Anwendung des Notverordnungsparagraphen einzuschränken sei und sich nur auf Fälle von besonderer Dringlichkeit beziehen dürfe. Wie hat doch kürzlich ein bekannter Politikwissenschaftler die demokratischen Verhältnissen spottende Konzentration von Macht in der Hand des präsidentiellen Paares genannt: Hyperpräsidentialismus. Mit Spannung wird nun erwartet, ob das neue Ministerium umgehend hyperaktiv wird.
1. Juli 2010
Immigrantennation auf spanisch-katholisch
Nichts könnte die Argentinidad besser umschreiben, als diese Anekdote. Argentinien klopft sich im Jahr des Bicentenario mit Vorliebe selbst auf die Schulter und sieht sich als tolerantes Einwandererland. Präsidentin Cristina Kirchner, die eine Schwäche dafür hat, andere zu schulmeistern, liebt es, den Europäern Lehren über den Umgang mit Einwanderern zu erteilen. Gerne übersieht man hier, dass die Einwanderungsgeschichte inzwischen etwas in die Jahre gekommen ist. Die großen Einwandererwellen liegen zwischen 120 und 60 Jahren zurück. Und die damals noch junge, ungefestigte Nation erwartete von ihren Immigranten eine Anpassung an die spanisch-katholische Leitkultur, an die im heutigen Europa nicht zu denken wäre. Alle Vornamen mussten hispanisiert werden. Wer sein Kind Karl oder Heinrich nennen wollte, landete bei Carlos und Enrique. Deshalb gibt es in Argentinien so viele Menschen mit Nachnamen wie Müller oder Bunge und spanischen Vornamen. Man stelle sich vor, die deutschen Behörden verlangten von türkischstämmigen Bürgern, dass sie ihr Kind Martin statt Feiredun nennen. Es gäbe wohl, zu Recht, einen Aufruhr. Das italienische Kulturinstitut von Buenos Aires beklagt, dass so wenige Portenos Italienisch sprächen, obwohl nahezu die Hälfte aller Argentinier italienische Vorfahren habe. Die mitgebrachte Sprache zu bewahren gelang nur wenigen, denn es wurde zu keiner Zeit gefördert.
Jüngere Einwanderung oder besser Arbeitsmigration gibt es in Argentinien nur aus Nachbarländern wie Bolivien und Peru. Die von dort kommen, sind so katholisch wie die große Mehrheit der Argentinier und sprechen ebenso Spanisch. Dennoch werden sie häufig über die Schulter angesehen. Heute wandern Argentinier eher selbst ab, nach Brasilien, das Argentinien wirtschaftlich immer mehr abhängt oder nach Spanien. Nicht von ungefähr lebt nur einer der Spieler in der argentinischen Fußballnationalmannschaft in seinem Heimatland. Alle anderen verdienen ihr Fußballerbrot im Ausland.
Eine Gruppe von Menschen, die nach Argentinien gar nicht einwandern musste, weil sie schon immer da war, lebt in ihrem eigenen Land vielfach wie im Exil, an den Rand gedrängt, geographisch und sozial marginalisiert- die Indios.