26. März 2016

Dorfgeschichten



Eine Autostunde nordöstlich von Kapstadt und wir sind in Afrika pur. Schrägen weitgeschwungener Hügel mit gelbem Stoppelgras gesäumt von Streifen roter Erde stehen gegen den intensiv blauen Himmel. Der Tafelberg verschwindet allmählich im Glast des heißen Tages. In einer Senke eine blendendweiße Kirche, ein paar Zeilen niedriger Häuser, manche mit schmiedeeisernen Spitzenkanten am Verandavordach, eines knallrosa, ein anderes mintgrün, doch Weiß dominiert. Am Platz vor der Kirche ein wenig Schatten von hohen Eukalyptusbäumen.

Ein paar Schritte in eine der beiden Hauptstraßen, und ich stehe vor Altas Stoep, der Veranda vor ihrem Laden. Eine Schiefertafel davor kündigt an, was es heute zu kaufen gibt: selbstgebackene Pasteten mit Springbock, Rind- oder Hühnerfleisch gefüllt. In ihrem Laden regiert Alta mit einem freundlichen Wort für
jeden, mit Humor und Festigkeit wo es nottut das soziale Leben des Dorfes Philadelphia. Ihr Landhandel bietet alles, was man zum täglichen Leben braucht, dazu die beste Aprikosenmarmelade, den reinsten Honig und süffiges Ingwerbier. Altas Laden ist auch die Poststelle und eine informelle Nachrichtenbörse.

Vor einigen Tagen ist das ganze 500-Seelen-Dorf zum ersten Mal zu einem Gespräch über allerlei anstehende Probleme zusammengekommen. Immer noch leben Weiß, Braun und Schwarz auf Distanz, und viele trauten sich nicht so recht in die Versammlung. Resolut hat Alta jede Cola, jede Zigarette – sie werden hier noch einzeln verkauft – jedes Stück Butter in den Tagen davor mit der Mahnung verbunden, zur Versammlung zu kommen, und es wurde ein rauschender Erfolg. Auf der Brüstung ihrer Veranda stehen Blechmodelle von Wasserpumpen zum Verkauf. Ihr Schöpfer ist einer der vielen Arbeitslosen.

Manchmal steht auch Altas Mann im Laden. AB Neethling stammt aus einer großen Familie mit langer Geschichte in Südafrika. Kürzlich waren sie zu einem Familientag bei Verwandten. Da hat der Stammbaum der Neethlings eine ganze Wand eingenommen. Einem Familienzweig gehört das Weingut Neethlingshof bei Stellenbosch. Der allererste Neethling war ein Deutscher aus einem Ort gleichen Namens (Nöthling), weiß AB. Wie so viele im durch den Dreißigjährigen Krieg verarmten Deutschland ging der Vorfahr nach Holland auf Arbeitssuche, ein Wirtschaftsflüchtling, wie man heute sagen würde. Dort heuerte er auf einem Schiff der Vereenigde Oost-Indische Compagnie, der holländischen Handelsgesellschaft für Südafrika und Südostasien, an. Sein Schiff kenterte vor der südafrikanischen Küste, aber er überlebte. Alta stammt aus einer kleineren Familie. Ihr Mädchenname Applegrein deutet auf holländische Vorfahren hin.

Wir sitzen am langen Holztisch auf dem stoep, und zwischen einem frühen Lunch mit saftiger Springbockpastete und immer neuen Kunden, die zu bedienen sind, nehme ich an den Dorf- und Familiengeschichten teil. Ein wenig fühle ich mich wie der südafrikanische Klassiker Herman Charles Bosman mit seinen stoep-stories. Aus Bosmans fiktivem Oom Schalk Lourens wurde die sehr wirkliche Tannie Alta.  

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