29. März 2016

Atlantis, die verlorene Stadt



Die Suche nach Platons Atlantis hat nie aufgehört. Dabei lässt sich mindestens seit den 70er-Jahren des 20.Jahrhunderts die Lage des Ortes ganz exakt beschreiben: 33° 34´ S 18° 29´E sind die Koordinaten und die Fläche ist 28 Quadratkilometer. Warum man nicht früher drauf gekommen ist? Keine Ahnung. Die Suche 

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auf den Bahamas oder in Florida hätte nicht zum richtigen Ziel geführt. Aber an der Südspitze Afrikas hätte man fündig werden können, genauer gesagt 40 Kilometer nördlich von Kapstadt, von der Westküste Südafrikas ein wenig landeinwärts in die semi-aride Landschaft. Fast 70.000 Menschen leben dort, davon 85 % Mischlinge (sog.Coloureds) und fast 13 % Schwarze. Sie sprechen weit überwiegend Afrikaans, sind im Durchschnitt 26 Jahre jung und zu mehr als 90 % Christen. Doch sie leben nicht in rosigen Verhältnissen, wie man sich das als klassisch gebildeter Mensch vorstellen könnte.

Eben in den 70er-Jahren hatte die weiße Apartheid-Regierung in ihrem Rassentrennungswahn den Ort projektiert als Wohnstadt für 500.000 Coloureds und zur Industrieansiedlung. Allerdings wurden die Fördermaßnahmen für Firmen schon 1989 wieder abgebaut, sodass die meisten Fabriken wieder abzogen. 1992 betrug die Arbeitslosenquote 40%, 1996 hatten 56% der Haushalte keine festen monatlichen Einkünfte und bald waren nur noch 3% der ursprünglichen Firmenansiedlungen übrig. 2005, als das durchschnittliche Jahreseinkommen in Atlantis 10.233 Euro betrug, gab es dort 35 identifizierte Drogenverkaufsstellen und geringfügigt mehr Verkaufsstellen für Alkohol als Gotteshäuser der verschiedenen Denominationen zusammen, wobei die Erweckungskirchen den größten Anteil stellen. Die großflächig angelegte Stadt, immerhin die zweitgrößte nach Kapstadt im Westkap, kam weiter herunter und hieß bald die „verlorene bzw. vergessene Stadt“, weitgehend abgeschnitten vom reichen, weißen Kapstadt und gezeichnet von Arbeitslosigkeit, Armut, Alkohol- und Drogenkonsum, HIV/Aids, Wohnungsnot und Kriminalität.
Bei der Verbrechenshäufigkeit lag Atlantis stets in der Spitzengruppe der offiziellen Statistik in einem Land, in dem die Gewaltkriminalität ohnedies zu den höchsten der Welt zählt. Im Jahre 2014 gab es in dem Ort praktisch ebenso viele Morde wie zehn Jahre zuvor, nämlich 37. Die Zahl der Sexualdelikte ist geringfügig zurückgegangen auf 101 Fälle, nicht jedoch die der - bekannt gewordenen- Sexualverbrechen gegen Kinder.(in ganz Südafrikaerschreckend hoch mit 25.578 registrierten Fällen beispielsweise in 2000). In einem Bericht des Kinder-Instituts der Universität von Kapstadt heißt es in diesem Zusammenhang. „Arbeitslosigkeit, zügelloser Alkoholkonsum, ärmliche, heruntergekommene Umgebung, Verbrechen und Gewalttätigkeit sind weit verbreitet in Atlantis“ und trügen entscheidend zu sexuellen An- und Übergriffen auf Kinder bei. Auch die Zahl der an HIV/Aids Erkrankten ist hier höher als vielerorts. Schwerer Raub, Brandstiftung und vor allem Delikte im Zusammenhang mit Drogenhaben gegenüber früheren Jahren deutlich zugenommen, wobei letztere 2014 mit 1.669.Fällen dreimal so hoch waren wie 2004. Dieselben Gangs wie in den Townships um Kapstadt treiben ihr Unwesen auch in Atlantis. In Atlantis waren mehr Personen 

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Wohnblöcke in Atlantis 

stellungslos als in Lohn und Brot. 14 Kilometer vom Ort entfernt steht das einzige Kernkraftwerk Südafrikas. Einer der Ortsteile heißt ganz offiziell „Witsand Informal“, wo in einer wilden Siedlung rund 5.000 Menschen auf 0,62 Quadratkilometern in selbst errichteten schäbigen Hütten leben. Eine Überschrift des Internetdienstes West Cape News vom 29.Dezember 2014 lautet: „Mann stirbt, 150 obdachlos nach Atlantis-Brand“. 50 Hütten waren abgebrannt und die Nachbarn stocherten in der Asche nach Brauchbarem. Soweit, so schlecht. Seit 2006 hat sich in Atlantis eine Gruppe gebildet, die Gewaltvorbeugung zum Ziel hat und unter anderem „Konfliktlösungen zur Verhinderung von Schusswechseln“ anstrebt.

Natürlich fiel dieser desolate Zustand mit der Zeit auch den Politikern auf, jenen in der ANC-Zentralregierung in Pretoria sowie der Provinzregierung im Westkap und im Rathaus von Kapstadt, die beide von der oppositionellen Democratic Alliance gestellt werden. Pläne wurden erarbeitet, Versprechen gemacht, in deren Gefolge sich immerhin einige Veränderungen zum Besseren ergeben haben oder noch ergeben sollen. 2013.gelang es, das chinesische Unternehmen Hisense mit Fertigungsstätten in China, Ungarn, Ägypten Algerien und Frankreich zu interessieren. Seither hat dieses Unternehmen in Atlantis 350 Millionen Rand investiert und produziert dort auf gut 25.000 Quadratmetern Fläche Fernsehgeräte und Kühlschränke; das bedeutet neben Ausbildungsprogrammen vorerst 300 Arbeitsplätze, die auf 1.200

 Teilnehmer an der Western Cape Entrepreneurexpo aus Atlantis


aufgestockt werden sollen. Auch die Ansiedlung einer spanischen Fabrik ist angekündigt, die Masten für Windturbinen herstellen und 20 Millionen Euro investieren will, um schließlich 200 weitere Stellen zu schaffen. Das veranlasste die Regierung des Westkaps zu der öffentlich verlautbarten Hoffnung, die Region um Atlantis könne Mittelpunkt von. Firmen der „grünen Ökonomie“ werden. Und Patricia de Lille, die Bürgermeisterin von Kapstadt, ließ sich nicht lumpen mit der Vermutung, Atlantis sei auf dem Wege der Wiedererstarkung, ließ indes auch einen neuen, aktualisierten Plan für die Entwicklung von Atlantis und Umgebung folgen.

So könnte, wenn alles gut geht oder gar noch ein bisschen besser, Atlantis, die verlorene Stadt, künftig wieder auftauchen aus der Versenkung der Vergessenheit, so, wie Platon es beschrieben hat als „glorreich und gesegnet“, „gerecht und wundervoll“ in seiner „barbarischen Herrlichkeit“, wo die Menschen „alles außer der Tugend verachteten“. Bis dahin, allerdings, wird wohl die Suche nach Atlantis weitergehen.

Gast-Blogpost von Klaus Stadtmüller

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