5. Juni 2010

Fremde Eingeborene - Afrikaanse Literatur seit dem Ende der Apartheid


Wer sich im Städtchen Paarl umsieht, erblickt auf einem Hügel ein seltsames Monument. Betonnadeln ragen auf. Die überdimensionierten Backenzähne gehören zum Taalmonument. Stolz darauf, dass Afrikaans als offizielle Sprache Südafrikas anerkannt worden war, errichteten die Buren ihrer Taal ein Denkmal. Es ist uns ernst, steht am Sockel. Ernst wurde es auch für die anderen. Die Buren drückten ihre Sprache allen Bevölkerungsgruppen auf und mit ihr die Ideologie der Apartheid. Entsprechend verhasst war sie, obwohl einst selbst als Befreiungsschlag entstanden. Aus dem Korsett des kolonialen Holländischen wollte man heraus und wertete den Dialekt auf: eine Kreolsprache mit vereinfachter Grammatik und einem Wortschatz, der sich auch aus den Küchen speiste, in denen die malaiischen Sklaven arbeiteten. Edith Werner hat sich damit beschäftigt.

Afrikaans ist mit dem doppelten Makel behaftet, eine Küchensprache und das Idiom der Unterdrückung zu sein. Dabei gerät aus dem Blick, dass es eine Literaturtradition aufbauen konnte, in der es seine Ausdrucksmittel erweiterte und verfeinerte. Die Naturlyrik von Louis Leipoldt und Eugene Marais, die Versdramen von N.P. van Wyk Louw, später die Gedichte von Breyten Breytenbach und Wilma Stockenström sowie die Romane von Karel Schoeman und André Brink müssen sich hinter der englischsprachigen Literatur nicht verstecken. „Afrikaans kann alles ausdrücken“, ist Peter Horn überzeugt, ein der Burentümelei unverdächtiger Germanist. Es kann von deftiger Direktheit sein und von zarter Innigkeit. Sogar über sich selbst lachen kann es. Literaturnobelpreisträger John Coetzee, aus englisch-afrikaanser Familie, bekennt in seinen Kind heitserinnerungen: „Afrikaans ist wie ein Zaubermantel, der den Jungen überall hin begleitet auf einem Weg, der einfacher, heiterer und heller ist.“

Heute steht die afrikaanse Literatur unter dem Druck, sich gegenüber dem dominanten Englisch behaupten zu müssen, obwohl Afrikaans nach Zulu und Xhosa die meistgesprochene Muttersprache ist. Afrikaanse Bücher werden vom breiten Publikum nur wahrgenommen, wenn sie auch auf Englisch erscheinen. International erfolgreiche Autoren wie André Brink und Deon Meyer publizieren parallel in beiden Sprachen. Doch haben Verlage wie Tafelberg, Human & Rousseau, Kwela und Umuzi stets afrikaanse Literatur im Programm. Auf die politische Marginalisierung reagieren afrikaanse Schriftsteller unterschiedlich. Ihr prekär gewordenes Selbstverständnis bringt Journalist und Musiker Rian Malan am deutlichsten auf den Punkt. Alien Inboorling / Resident Alien betitelte er seine Reportagensammlung und sein jüngstens Liederalbum (2005). Ihre 350 jährige Siedlungsgeschichte macht sie zu Eingeborenen, ihre Hautfarbe und Verstrickung in die Apartheid zu Fremden. Die extremste Position nimmt Lyrikerin und Essayistin Antjie Krog ein. Schon der Titel ihrer Collage aus historischen Aufzeichnungen, dem Report über eine Mordaffäre und Tagebuchbekenntnissen, zeigt wo Krogs Reise hingehen soll, in die schwarze Haut: Begging to Be Black (2009). Im vorausgegangenen Buch A Change of Tongue (2003) hatte sie den Verlust des Afrikaans beklagt. Sie tat es zuerst auf Englisch und machte damit das Dilemma deutlich, in dem Afrikaans als Literatursprache steckt.

„Sie weiß, unser Bleiben in Afrika ist nicht dauerhaft“, resigniert die Heldin von Malene Breytenbachs Siedlerroman Gister is ´n ver land (Gestern ist ein fernes Land), der im Nachbarland Simbabwe spielt. Auch für Südafrika könnte es gelten. Rian Malan sucht in einem TV-Feature den letzten Afrikaaner (The last Afrikaner, 2004), und Karel Schoeman betitelt seine Autobiographie als Die laaste Afrikaanse boek (Das letzte afrikaanse Buch, 2002). Wo sie einen neuen Blick auf die Vergangenheit freisetzt, kann diese Haltung fruchtbar werden. So beugt sich Karel Schoeman in neueren Veröffentlichungen wie Kinders van die Kompanjie (Kinder der Kompagnie, 2006) und Seven Khoi Lives: Cape Biographies of the Seventeens Century (Sieben Khoi-Leben, 2009) mit archäologischer Genauigkeit und detailverliebter Fabulierlust über die Kolonialzeit. Der historische Roman war in der afrikaansen Literatur immer eine beliebte Gattung. Heute dient er nicht mehr politischer Mythenbildung.Er kommt kritisch daher, wie in Ingrid Winterbachs Roman Niggie (2002), der im Burenkrieg spielt, oder skurril wie in Bidsprinkaan (Kupidos Chronik, Osburg Verlag 2009, Übers. Inge Leipold) von André Brink über einen farbigen Missionar im kargen Nordkap. Ganz heutig ist die Burenkriegsrückblende Fees van die Ongenooides (Fest für die Ungebetenen) von P.G. du Plessis (2008). Es geht um die Kraft der Erinnerung und um das Vergessen. Vielfach durch Perspektiven- und Ortswechsel gebrochen ist Etienne van Heerdens Geschichte einer Burenfamilie in 30 nagte in Amsterdam (30 Nächte in Amsterdam, 2008).

Oft liest man in Autorenviten „aufgewachsen auf einer Farm“. Gab Olive Schreiner einst mit The Story of an African Farm (Geschichte einer afrikanischen Farm, Diogenes Verlag 1988, Übers. Elisabeth Schnack, vergr.) den Ton an, so ist der bäuerliche Hintergrund auch heute noch Lebenswirklichkeit und Erzählgegenstand, jenseits von verschwiemelter Blut- und Bodenromantik. Die Journalistin Karin Brynard greift in Plaasmoord (Farmmord, 2009) ein aktuelles, stark politisiertes Thema auf. Eine Bande von Viehdieben, schwarze Magie, weiße Suprematisten und die kontroverse Landumverteilung werden zum Thriller verkocht. Bevorzugte Projektionsfläche im Seelenhaushalt der Südafrikaner ist die emblematische Steppenlandschaft des Karoo. In der Titelgeschichte seiner neuesten Kurzkrimisammlung Schwarz. Weiß. Tot. (Aufbau Verlag 2009, Übers. Stefanie Schäfer) verlegt auch Deon Meyer den Plot in die Karoonag (Karoonacht, 2009).

Im Land der Umverteilung von Unternehmensanteilen aus weißen in schwarze Hände, bei der es nicht ohne Korruption abgeht, gedeiht der Wirtschaftskrimi. Autor Carel van der Merwe erlebte als Topmanager multinationaler Unternehmen die Chefetagen zwischen Johannesburg und London von innen. Ein Fegefeuer der Eitelkeiten ist Geldwolf (Geldhai, 2008), angesiedelt im südafrikanischen Finanz- und Regierungsmilieu.

Aus den afrikaansen Neuerscheinungen ragen zwei Romane heraus. Nicht nur nach ihrem Umfang, auch nach ihrer literarischen Bedeutung haben Triomf (1994) und Agaat (2004) von Marlene van Niekerk Gewicht. Beide heimsten südafri kanische und internationale Preise ein und wurden ins Englische übersetzt, Triomf auch verfilmt. Es ist kein Triumph, wenn man es nicht weiter als bis nach Triomf, dem ärmlichen Johannesburger Vorort, gebracht hat. Dort schlagen sich vier arme Weiße im Vorfeld der ersten demokratischen Wahlen Südafrikas durch, so gut es geht. In Agaat nehmen wir Teil an der so widersprüchlichen wie intimen Beziehung zwischen einer alten, kranken Weißen und ihrer farbigen Pflegerin. Im Times Literary Supplement wurde Agaat als der bedeutendste Roman seit Coetzees Schande genannt. Der deutsche Buchmarkt kann noch eine Entdeckung machen.
Was würde die farbige Pflegerin erzählen, wenn sie selbst ein Buch schriebe? Die drei Millionen farbigen – gemischtrassischen – Einwohner Südafrikas teilen mit den Buren die Muttersprache. In der Literatur aber sind sie unter repräsentiert. Zoë Wicomb, eine Griekwa, die in Schottland lebt, schreibt ihre Romane um das zwiespältige Selbst verständnis der Farbigen auf Englisch. Auch die Kapmalaiin Rayda Jacobs hat sich nach langem Exil in Kanada für Englisch entschieden. Einige Neuerscheinungen lassen aber hoffen, dass auch in Afrikaans etwas in Bewegung gerät. Bettina Wyngaard fand sich von der Literatur so wenig angesprochen, dass sie keine Lust mehr hatte, Afrikaans zu lesen. So schrieb sie selbst eine Geschichte: Troos vir die Gebrokenes (Trost für die Gebrochene, 2009). Drei Frauen und ihr mühseliges Leben auf dem platten Land stehen im Mittelpunkt. Um eine religiös verbrämte Mordserie und eine Siedlung, die sich dagegen wehrt, geht es in Die Evangelis van Kaggelsberg (Der Evangelist von Kaggelsberg, 2009). Das wirkliche Kaggelsberg hat Autor Abraham Philips erlebt und erlitten. Einen renommierten nationalen Lyrikpreis erhielt 2009 Ronelda Kamfer für ihre Gedichtsammlung Noudat slapende honde (Jetzt wo schlafende Hunde). Die 29-jährige bringt darin ihr zwiespältiges Verhältnis zum Afrikaans zum Ausdruck: „Noudat ek Afrikaans praat /…soek die verlede my nog steeds in die rëen“ (Sprech´ich Afrikaans /…sucht mich im Regen stets die Vergangenheit).

Die afrikaanse Lyrik hat immer eine bevorzugte Stellung eingenommen. Gedichte wie Oktobermaand (Oktobermonat) von Leipoldt und Winternag (Winternacht) von Marais sind noch 100 Jahre nach ihrem Erscheinen populär. Antjie Krog wurde zuerst als Lyrikerin bekannt, und die Anthologie neuer Gedichte Versindaba (2009), vom rührigen Buchhändler und Poeten Louis Esterhuizen zusammengestellt, stand auf der Bestsellerliste. Ebenso lebendig ist das afrikaanse Drama, das in einer Reihe von Festivals vom KKNK im Klein Karoo bis zu Aardklop in Potchefstroom jedes Jahr eine Leistungsschau erlebt. In seinem schrillen Theater Evita se Perron im Westküstenstädtchen Darling zieht Kabarettist und Dramatiker Peter Dirk Uys alias Evita Bezuidenhout die heiligsten Werte der Buren durch den Kakao, witzig und wachsam gegen jede Form von altem und neuem Machtmissbrauch. Tannie Evita, die zur Demokratin gewandelte Burenmatrone, hat das letzte Wort: „Die Zukunft ist sicher. Es ist die Vergangenheit, die unvorhersehbar ist“.


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