9. Juni 2010

Bicentenario - Nachlese I

Gerade noch rechtzeitig ist sie fertig geworden: die Casa de Bicentenario. Die Frauen haben die Nase vorn. Auf drei Etagen verteilt, gibt es eine Gesamtschau der Mujeres de la Argentina 1810-2010. Ein gut inszeniertes Ensemble von Fotos, Objekten, Filmen ud Liveinterviews soll ein Bild der argentinischen Frau in den letzten 200 Jahren vermitteln. Ein wenig beliebig, aber umfangreich. So findet jeder etwas. Die Stimmen der bekanntesten Dichterinnen lassen sich per Tonband anhören. Unvermittelt steht die Mühsal von Indiofrau in den Dörfen des Nordens und Nordwesten neben einer Reihe rüschiger Hochzeitskleider. Auf drei Bildschirmen erzählen männliche Passanten von ihrer argentinischen Traumfrau. Evita, die Herzköngin, ist fast immer dabei. Wer von der Peronstin weniger angetan ist, vemeidet das vertrauliche Evita und spricht von Eva Perón. Aber die Wichtigste war sie, davon sind alle überzeugt. Weit abgeschlagen die Frauenrechtlerin Alicia Moreau de Justo, die Amazone Juana Azurduy und die heutige Erste Dame, Cristina Kirchner. Vielen Männern sind die eigene Mutter oder Ehefrau näher als die abgehobenen Gestalten der Geschichte. Immerhin ist in diesem Land des machismo schon 1999 ein Gesetz verabschiedet worden, das 30% weibliche Parlamentskandidaten vorschreibt, und tatsächlich sieht man viele Frauen im Congreso auf den Abgeordnetenbänken.

Die Zeit des breitformatigen Ölschinkens in einem der Ausstellungsräume scheint fern zu sein. Um die Campana del Desierto zu rechtfertigen, den brutalen Vernichtungsfelzug gegen die indianische Urbevölkerung im 19. Jarhhundert, hatte der Maler nicht mit dick aufgetragener Symbolik gespart. Da reitet eine Horde nackter Wilder quer durchs Gemälde. Der vorderste hat eine halbnackte weiße Frau vor sich auf dem Sattel. Hilflos-lustvoll leuchtet ihr weißer Leib und flattert ihr langes Haar. Der nächste hat ein Kreuz erobert, und ein anderer hat eine (Schatz)kiste vor sich. Die cautiva blanca, die weiße Gefangene, entzündete und beflügelte Männerphantasien. Sie rauben uns unsere Frauen, unseren Glauben und unser Geld, also nieder mit ihnen, war die Botschaft.

Im Parterre läuft ein Zusammenschnitt von alten Filmen und Wochenschauen zur argentinischen Geschichte. Da gibt es weit weniger Frauen zu sehen. Viele hochtönende Reden werden geschwungen, Straßenschlachten geschlagen und rote Teppiche ausgerollt. Vowiegend älteres Publikum hat sich zur Betrachtung dieses patriotischen Kaleidoskops eingefunden. Die Jüngeren tummeln sich derweil in einer knallbunten, flimmernden Kunstschau im Centro Cultural Recoleta, wo sich in der Ausstellung Fase 2 die junge Kunstszene mit ihren Zukunfstvisionen austobt.

Abbildung aus dem Programmheft von Fase 2

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