Bei letzterem treffen sich deutsche Gründlichkeit und lateinamerikanische Theoriefreudigkeit zu einem Erklärungsmarathon, das einem soziologisch-politologischen Oberseminar alle Ehre machen würde. Schon der Titel Menos tiempo que lugar kommt sperrig daher und bedarf eines ausführlichen Kommentars. Manche Werke entbehren nicht einer gewisssen Beliebigkeit und werden nur durch die beigegebenen Erklärungen auf Kurs gehalten, so die schön anzusehenden drei Kleider auf der Stange, die für die dreifach familiär eingebundene Frau stehen.
Andere erschließen sich unmittelbar. Wenn auf dem Bildschirm des mexikanischen Künstlers ein Polizeihubschrauber in der Luft steht, versteht man, wie omnipräsent und zugleich machtlos angesichts der ausufernden Drogenbanden-Kriminalität die Polizei in diesem geplagten Land ist. Die Fahrt mit dem Vorortzug Bartolomé Mitre , so pompös benannt wie heruntergekommen, durch die häßliche Stadtlandschaft von Buenos Aires an den Bahndämmen bedarf nicht der Zutat einer die Unabhängigkeitserklärung Simon Bolivars abschreibenden Künstlerin. Die Bilder sprechen für sich, und sie transportieren Tristesse. Die Fallhöhe zum Pathos der Gründer ist evident ohne derlei eher bemühte als gelungene Verknüpfungen. Die Fotos vom Camino del Inka lassen spüren, wie stark die präkolumbianischen Prägungen sind, die einige Länder teilen. Nicht über Folklore hinaus kommen dagegen die bolivianischen Frauen, die ständig bunte Wolle für ihre Webwaren aufwickeln oder der mit Federn geschmückte Indio im brasilianischen Amazonasgebiet. Schieres Agitprop ist die Endlostanzschleife eines Uruguayers mit einem Obama-Double. Zweifelhaft auch die Prozedur, die den Bewohnern eines Slums in Venezuela zugemutet wurde. Ohne Englisch zu können, lesen sie laut das schon erwähnte, englische Traktat von Bolivar.
In der Mitte hebt sich eine Treppe ins Nirgendwo. Die Himmelsleiter führt nicht zur Erlösung, und das Hier und Jetzt ist jämmerlich. Mit dieser kritischen Botschaft versuchen die Ausstellungsmacher das Bicentenario der Festansprachen zu unterlaufen.
Kurator Alfons Hug, der im vorigen Jahr mit einer ähnlich gedankenschweren Ausstellung zum Thema Klimawandel in Ushuaia am Fin del Mundo von sich reden machte, zeichnet verantwortlich. Er hat wohl auch vielen Künstlern bei ihren Einzelprojekten konzeptionell die Hand geführt, damit wir alles richtig verstehen. Wie sagte noch der alte Indianer? Hug: Ich habe gesprochen.
Fotos aus dem Prospekt der Ausstellung
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