26. Mai 2010
Bicentenario - Vierter und letzter Tag oder "Lasst Millionen um mich sein!"
25. Mai 2010
Bicentenario - Dritter Tag oder "Zum Colon, zum Colon!"
Sogar ein Staatschef war gekommen. José Mujica aus Uruguay, obwohl von der Linken, wie die argentinische Präsidentin und anders als der konservative Bürgemeister, scherte sich nicht um Politik und gab zum Besten: Mein Vater war Arbeiter mit 80 Pesos Lohn im Monat, aber er sparte 6 Pesos, um in Montevideo in die Oper zu gehen. Die Oper ist für alle dar, nicht nur für politische Freunde der Regierung, war Mujicas Botschaft. So recht demokratisch ging es allerdings bei der Wiedereröffnung nicht zu. Kaufen konnte niemand eine Karte, nicht für 6 Pesos und nicht für 600. Das Volk konnte sich nur von der Straße aus ein Spektakel ansehen, dass die High Lights aus der Geschichte des Colón in einer Ton- und Lichtschau bot.
Fotos: La Nación, 24.5.10 und Beilage N, 22.5.10
24. Mai 2010
Bicentenario - Zweiter Tag
Trotz des Gewitterausbruchs im Jahr 2010 gab es aber noch viel zu sehen. Die Tanzgruppe von den Anden zum Beispiel. Die Frauen in blumigen langen Kleidern, die Männer zum Verlieben. Unterm riesigen schwarzen Sombrero lugte bei einem der alternative Zopf hervor. Die Pluderhosen, die Schärpen, die Stiefel mit Absatz, der weinrote Poncho lässig über der Schulter. Die Mannsbilder stahlen ihren Frauen die Schau. Ich bin aus La Rioja sang Cristina Velasco mit tiefer, kräftiger Stimme und begleitete sich selbst mit einem Trommelwirbel. Die ferne, trockene und heiße Provinz am Andenrand, aus der die besten Oliven kommen, zeigte alles, was sie zu bieten hat. Nur einer war nicht dabei, der noch vor 30 Jahren im Mittelpunkt gestanden hätte. Carlos Menem, der Präsident, der das Land nach Caudillo-Manier regierte, es aber auch nach außen öffnete, kommt aus La Rioja. Heute ist er abgemeldet. Nur wer kirchnertreu ist, darf beim Staatsbankett am 25. dabei sein. Die ehemaligen Präsidenten de la Rua, Menem und Duhalde gehören nicht dazu, ebenso wenig wie Vizepräsident Cobos, mit dem die Chefin über Kreuz ist. Viel politisches Gezänk ist im Spiel. Das trübt aber nicht die Begeisterung der herbeiströmenden Massen. Die Fähnchenverkäufer haben Hochbetrieb. Selbst Maskottchen tragen in diesen Tagen gerne helblau-weiß.
Die Zuschauer bekommen einiges geboten. Mit 70 Lamas waren die Leute aus einer weiteren Andenprovinz, aus Jujuy, angerückt. Die Pferde aus der Pampa mussten jedoch zuhause bleiben, weil eine Krankheit ausgebrochen war, und man Ansteckung der hauptstädtischen Rösser befürchtete. Dafür wurde die Bühne an der Ecke Calle Bartolomé Mitre von drei riesigen weißen Plastikpferden verschönt, denen eine Statue der Madonna von Lujan zur Seite stand.
Am Nachmittag zeigte Argentinien seine Vielfalt als Einwanderland. Die comunidades aus einer Vielzahl von Einwanderernationen defilierten. Chinesische kleine Mädchen in roten bestickten Gewändern lösten Schotten ab, die auf ihren Dudelsäcken argentinische Waisen spielten. Die Brasilianer hatten ihren Christus vom Zuckerhut mitgebracht - aufblasbar. In den Regen hinein knallten schließlich ein paar Feuerwerkskörper, und alles war für heute zuende. Fortsetzung morgen.
Fotos: La Nación, 24.5.2010
Bicentenario - Erster Tag
Gestern zogen sie alle an der Haupttribüne mit den Honoratioren vorbei. Die Abgesandten der 23 argentinischen Provinzen marschierten, sangen, tanzten, trompeteten, trommelten, fuhren auf geschmückten Wagen. Soviel geballte, freudige und farbige Folklore kann man selbst in Argentinien, wo Volksmusik und Volkstanz hochgehalten werden, selten sehen. Aus Corrientes kamen die gutgebauten Mädchen mit ihren Glitzerbikinis und Federschmuck und zeigten, dass der Karneval im Gebiet der großen Flüsse im Nordosten fast so farbig und lebendig ist wie in Brasilien. Aus dem Chaco, dem wilden, heißen Norden, kamen die Gruppen der Einwander in ukrainischen, russischen und italienischen Trachten, aus Chubut einige Indios und aus Entre Rios Freizeitsoldaten in historischen Uniformen aus der Zeit der Befreiungskämpfe.
Kinder saßen bei ihren Vätern auf den Schultern und schwenkten blau-weisse Fähnchen. Bei den fliegenden Händlern gab es Empanadas und die süssen, fettigen Churros zu kaufen. Zum Schluss, schon tief in der Nacht, überstahlte ein Feuerwerk den Festtrubel in allen Farben.
Argentinien hat Geburttstag. Zweihundert Jahre jung ist es geworden. Herzlichen Glückwunsch!
Fotos: La Nación, 22.5.2010
21. Mai 2010
Aufwasch fürs Bicentenario
Warum wäschst Du Geschirr ab? frage ich Esilda. Die Performance ist nicht ohne maliziösen Hintersinn. Limpiar para la patria, fürs Vaterland saubermachen, ist die Devise. Da kommt wohl einiger Schmutz zuammen. Während der zweiwöchigen Aktion wäscht Esilda nur eines nicht: ihre Schürze. Die ist jetzt kurz vor dem entscheidenden Festtag, dem 25. Mai, schon recht fleckig.
Mariana likes this, hat eine junge Passantin im Facebook-Stil an Esildas Fenster geklebt, und eine alte Nachbarin brachte ihren großen Topf vorbei, in dem wohl schon mancher puchero, der deftige Eintopf aus Fleisch, Mais und Gemüse, gekocht worden ist.
20. Mai 2010
Die Hauptstadt der Bücher
Jeden Morgen habe ich die Qual der Wahl. An fünf Zeitungskiosken in meiner nächsten Nachbarschaft kann ich mein Leibund Magenblatt kaufen. Aber nicht nur das. Einige warten auch mit Büchern auf. Darunter ist so schwere Kost wie »Psychoanalyse in der Krise«. Auch in der Rushhour quetschen sich Porteños, wie sich die Bewohner von Buenos Aires nennen, mit der Nase im Buch in die UBahn oder den Omnibus.
Keiner weiß wohl genau, wie viele Buchläden es in der Elf-Millionen-Metropole gibt. Der Broadway von Buenos Aires,die Vergnügungsund Theatermeile an der Avenida Corrientes mitten im Zentrum, ist auch das Eldorado der Buchjäger. Eine Buchhandlung reiht sich in einigen Straßenblöcken an die andere. Schulter an Schulter reiben sich große Läden wie Ghandi mit kleinen Bücherschluchten, die oft nicht viel mehr als ein zur Straße offener Korridor sind, vollgestopft mit einem krausen Gemisch von Secondhandund Erbauungsbüchern.
Der Büchertempel Ateneo an der Avenida Santa Fé, vom gleichnamigen Verlag betrieben, hat es in einer Liste des »Guardian« unter die zehn schönsten Buchhandlungen der Welt gebracht. In dem ehemaligen Theater stehen die Bücherregale auf drei Etagen vornehm in mit Putten geschmückten Logen.
Die beiden großen Zeitungen »La Nación« und »Clarín« bringen wöchentlich eine dicke Beilage heraus, die hauptsächlich der Literatur gewidmet ist. Wer einmal die jährliche Buchmesse, eine Publikumsund Verkaufsmesse, erlebt hat und in die Massen von Besuchern, die bis in die Abendstunden herbeiströmen, eingetaucht ist, glaubt sich auf einer Mischung aus Grüner Woche und Jahrmarkt.
Seit zwei Jahren gibt es die Lange Nacht der Bücher. Dann wird die Avenida Corrientes, die wahrlich keine Kleinstraße ist, einfach abgesperrt, und man kann bis Mitternacht in den Buchhandlungen stöbern, sich gemütlich auf einem Stuhl auf der Fahrbahn niederlassen und schmökern.
Dennoch klagen die argentinischen Kulturpäpste, das Lesen gehe zurück. Ist das nur professionelle Stimmungsmache? Wohl nicht, denn laut einer Statistik von PricewaterhouseCoopers, die weltweit Ausgaben für Bücher vergleichend aufgelistet hat, von »La Nación« im Oktober 2009 für Südamerika veröffentlicht, liegt Argentinien mit 22 Pesos oder ca. sechs Euro pro Kopf und Jahr noch hinter seinen Nachbarländern. Es sieht also mit dem Lesen tatsächlich gar nicht so rosig aus, wie es den Anschein hat.
Doch vielleicht sind Porteños nur sparsam und lesen die Bücher vom Freund mit oder kaufen billig secondhand. Ich glaube eher dem, was ich sehe. Jedenfalls gehört das Buch hier noch zum guten Ton. Kein Intellektueller, der etwas auf sich hält, würde sich im Freizeitlook in seinem Garten ablichten lassen. Er sitzt stets vor seiner gut gefüllten Bücherwand.
Vor Jahren besuchte mich ein belgischer Künstler, der als Kunstprojekt Menschen in allen möglichen Ländern vor ihren Büchern fotografierte. In Buenos Aires wäre das wohl ein Endlos-Projekt geworden.
17. Mai 2010
Bicentenario - chinesisch
Da will niemand abseits stehen. Auch die chinesische Gemeinde im winzigen Chinatown des barrio Belgrano feierte mit. Gestern bei schönstem, klarem Herbstwetter schlängelte sich ein großer gelb-roter Drachen durch die Calle Arribenos, und echt chinesisch gekleidete Argentino-Chinos führten Kampfspiele und Tänze vor. Selbst Buddha war für einmal Argentinier. Vor seiner Statue wurden Opfergaben niedergelegt, damit am 25. Mai beim großen nationalen Festakt ja nichts schiefgeht. Der Tag für das chinessich-argentinische Fest war vom Kloster Fo Guang Shan festgelegt worden, denn so konnte man gleich noch Buddhas Geburtstag mitfeiern.
Foto: La Nación, 17.5.2010
Ein Tor für die heilige Jungfrau
In den Stadien ist die Begeisterung allerdings rein männlich. Nur eine Frau wird dort geduldet. Die heilige Jungfrau. Ob sie der gestern obsiegenden Mannschaft des Clubs Argentino zum 1:2 gegen Hurricán verholfen hat? Ihre Fans scheinen davon überzeugt zu sein. Zärtlich blickt einer von ihnen auf die mitgeführte Marienstatue. Und wer hilft Hurricán? Die Heilige Jungfrau kann schließlich nicht überall sein. Nur Cristina Kirchner ist allgegenwärtig und sorgt für Fussball für alle und das gratis. Wer wird sich da noch um solche Nebensächlichkeiten wie Rechtssicherheit, Pressefreiheit und Inflation scheren.
Foto: La Nación, 17.5.2010
2. Mai 2010
Das Fest des Buches IV
Ich hielt bis 22.00 durch, um das Gedenkkonzert für La Negra, für die unvergleichliche Mercedes Sosa, mitzuerleben. So gegen 21.00, wenn auf deutschen Messen schon längst dicht gemacht worden ist, wurde das Gedränge geradezu bedrohlich. Man kam heute abend an der langen Nacht der Messe kostenlos hinein. So strömten Urahne, Mutter und Kind herbei und umlagerten jeden Stand, vor allem die, bei denen es ums Bicentenario, um die Feier der eigenen zweihundertjährigen Geschichte ging, die im Rückblick immer glorreicher wird.
Foto: Marion Kaufmann