26. August 2009

Stille Tage in Siebenbürgen - Stadtgänge 1

Am Kölner Flughafen höre ich seit langem wieder Rumänisch. Es klingt, als sprächen Italiener Russisch oder Russen Italienisch. Meine so kurze wie erschütternde Begegnung mit dem gerade vom Ceausescu-Albtraum befreiten Bukarest Anfang der neunziger Jahre kommt mir in den Sinn. Flüchtige Bilder vom Grau der vernachlässigten Wohnblöcke, den streunenden Hunden, der Angst machenden Monstrosität der Casa Popurului, den verfallenen Bauten hinter den Fassaden an der Aufmarschstraße zum Volkspalast, steigen auf. Heute nur Ferienheiterkeit und fröhliches Durcheinander heimreisender Rumänen und Sachsen, wie die deutschstämmigen Rumänen Siebenbürgens genannt werden, obwohl sie meist aus dem Rheinland, aus Luxemburg und Franken kamen. Es dauert bis all die Taschen, Tüten und Pakete mit den Einkäufen aus Deutschland in den Ablagen des kleinen Flugzeugs verstaut sind. Blue Air fliegt immerhin mehrmals wöchentlich zwischen Köln oder Stuttgart und Bukarest mit Halt in Sibiu/Hermannstadt hin und her.

Puppenstubenschön und touristisch versiert empfängt mich Hermannstadt. Seit die Stadt 2007 Europäische Kulturhauptstadt war, hat sie sich herausgeputzt. Als unser Disneyland belächelt – und vielleicht beneidet? – man denn auch im raueren Klima Bukarests den Westen des Landes mit seinen Bilderbuchstädtchen und üppigen Bauernhöfen. Hier im Karpatenbogen, im ungarischen und deutschen Siedlungsgebiet, scheint das Habsburger Reich noch nicht ganz vergangen zu sein. In den drei guten Stuben Hermannstadts, dem großen Ring oder Piata Mare, dem kleinen Ring und der Piata Huet, alle durch kurze Gassen und Bogengänge miteinander verbunden, lässt es sich flanieren, einkehren und auf einer der Bänke einen Schwatz halten wie in einem weitläufigen Wohnhaus. Von der Lügenbrücke schaut man hier in der Oberstadt weit ins Land bis zu den Bergen im Hintergrund.

Mein Lieblingsplatz ist die intime Piata Huet. Die spätgotische evangelische Stadtpfarrkirche ragt heraus. Sie dominiert die ganze Altstadt und ist Zentrum für die deutschsprachige Gemeinde. Um die Kirche und die Plätze scharen sich die alten Häuser mit ihren hohen roten Dachhauben mit den typischen Hermannstädter Mansardenfenstern, die wie Schlafaugen aus den Dächern herauslugen. In der Kirche ist ein Gerüst aufgebaut. Die große Orgel wird gerade repariert. Im Chor sind sie alle versammelt, auf ihren steinernen Epitaphen, die Pfarrer, Gemeindevorsteher, Bürgermeister, allen voran der Reformator Johannes Honterus und der protestantische Stadthalter und Vertraute von Maria Theresia, Samuel von Bruckenthal, dessen Palais mit seiner bedeutenden Kunstsammlung zu den Schmuckstücken Hermannstadts gehört. Mehr als 800 Jahre umfasst die Geschichte der deutschstämmigen Einwohner in Siebenbürgen oder Transsilvanien, so die rumänische Bezeichnung der Karpatenprovinz. Ein Ungarnkönig – später gehörte Siebenbürgen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu Österreich-Ungarn – holte erstmals Mitte des 12. Jahrhunderts deutsche Siedler zu Befestigung des Grenzgebiets gegen die Türkeneinfälle ins Land. Noch im 18. Jahrhundert kamen mit einer Gruppe österreichischer Protestanten neue Einwanderer. Soviel Geschichte, aber man lebt nicht nur in der Vergangenheit. Die steinernen Würdenträger von ehedem teilen sich den Raum mit einer Fotoausstellung zum Kriegsgeschehen im ehemaligen Jugoslawien: In der Wahrheit leben.

Machten die Deutschstämmigen in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg noch fast die Hälfte der Bevölkerung von Hermannstadt aus, sind es jetzt nur noch rund 2.500. In der Zeit des kommunistischen Regimes und mehr noch seit der Eiserne Vorhang fiel, zog es viele ins Gelobte Land, nach Deutschland. In den meisten Kirchen Siebenbürgens, die ich gesehen habe, erinnern Tafeln an Landsleute, die in die Sowjetunion zu Zwangsarbeit deportiert wurden. Dennoch ist der deutsche Einfluss erstaunlich präsent, allemal in den Bauten, aber auch in der Gesellschaft. Nicht nur Sachsen sprechen Deutsch, liebenswert oberdeutsch gefärbt und mit fränkisch rollendem R. Die deutschen Schulen, vor allem das Brukenthal-Gymnasium, gelten als Talentschmieden. So schicken auch nicht- deutschstämmige Rumänen gerne ihre Kinder auf die deutsche Schule. Ähnlich ist es in Brasov/Kronstadt. Das Demokratische Forum der Deutschen Rumäniens stellt seit 2000 mit Klaus Johannis den Bürgermeister Hermannstadts. Seine Beliebtheit bei allen Einwohnern Hermannstadts bescherte dem Sachsen bereits die zweite Amtszeit. Säuberlich unterscheidet man in Siebenbürgen zwischen Sachsen und Bundesdeutschen, so erfahre ich von meiner Tochter. Sophie muss es wissen, denn als Entsandte organisiert sie das Kulturprogramm am Deutschen Kulturzentrum Hermannstadt. Die Bundesdeutschen treten vor allem als Touristen auf und tragen ihr Schärflein zum relativen Wohlstand dieses schönen Landstrichs bei.

Auf eine genaue Prozentzahl will Beatrice Ungar sich nicht festlegen, als wir von den Deutschstämmigen Rumäniens sprechen. Tendenz eher abnehmend. Die Überalterung macht zu schaffen. Vor allem die Jungen gehen weg, und nur wenige Zuwanderer wie die Buchhändler Liana und Jens Kielhorn stehen auf der Aktivseite. So ist die Tätigkeit der Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung eine Arbeit den Berg hinauf. Immerhin gelingt der Balanceakt schon seit 40 Jahren. Neben der deutschen Wochenzeitung Hermannstadts erscheint in Bukarest noch täglich die Allgemeine Deutsche Zeitung. Ab und zu trifft Beatrice sich mit Kollegen von anderen deutschen Auslandszeitungen wie der Windhoeker Allgemeinen Zeitung und dem Argentinischen Tageblatt. Das macht Mut. Der Überlebenskampf deutscher Zeitungen in Osteuropa betitelte die Süddeutsche Zeitung ihre Artikelserie vom Juli 2009. Beatrice Ungar tritt darin als Kronzeugin auf. Wir treffen uns im malerischen Innenhof des Restaurants Max in einem mustergültig renovierten Altstadtgebäude. Leider an einem der letzten Abende. Der Schweizer Finanzier hatte sich wohl zuviel vom Auftrieb versprochen, den Hermannstadt durch die Wahl zur Kulturhauptstadt erfahren würde, und kräftig investiert. Doch die meisten Rumänen können die angesichts der guten Qualität sicher angemessenen, aber eben doch recht hohen Preise bei Max nicht bezahlen. Man hat vorerst noch andere Bedürfnisse als raffiniertes und entsprechend teueres Gourmetessen. Beatrice ist ein wandelndes Geschichtenbuch über Siebenbürgen und seine Menschen. Das spiegelt sich im Katalog ihrer Fotoausstellung Gesichter Siebenbürgens. Sachsen, Rumänen, Ungarn, Roma sind, zumindest in der Fotodokumentation, im friedlichen Miteinander vereint. Mit einem Bein in Deutschland, mit dem anderen in Hermannstadt. Diesen Kompromiss zwischen beiden Ländern hat der abgebildete Neppendorfer Pfarrer im Ruhestand gewählt, wie wohl viele Siebenbürger Sachsen.

Bildnachweise:
Panoramabild, Kirche : Daniel Baltat, Sibiu/Hermannstadt. Honterus-Verlag 2006
Gasse: Anselm Roth, Stadtführer Hermannstadt. hora-Verlag (2)2006
Logo der Hermannstädter Zeitung mit freundlicher Genehmigung von Beatrice Ungar

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