15. Februar 2010

Carnaval oder die Murgas sind los

In Buenos Aires wird der Karneval eher klein geschrieben, anders als in Rio de Janeiro mit seinen Sambaschulen. Die Bewohner der argentinischen Hauptstadt brauchen ihn auch nicht, sind doch hier das ganze Jahr über die Narren los, meistens als Politiker verkleidet. Es soll in der Stadt auf mehrere Wochenenden verteilt 33 Umzüge von murgas, wie die Jecken hierzulande heißen, geben, und die städtischen Angestellten haben heute und morgen frei. Aber ein Volksfest kommt nicht zustande. Eher beklagen sich indignierte Anwohner über Belästigung durch Lärm und Dreck. Die Zeitungen berichten übe die Mainzer Weiberfastnacht geradezu kopfschüttelnd ob des Kuriosums, und das sogar mit Foto. Ein kleines Häuflein in buntem Satin zieht gerade unter meinem Fenster vorbei. Jede piquete bringt mehr Leute auf die Beine.

Den richtigen Karneval hat man in die Provinz delegiert. In Humahuaca etwa, in der Andenprovinz Jujuy im fernen Westen, haben die murgas eine lange Tradition. Wie bei der Basler Fastnacht mischt sich Furchterregendes mit Fröhlichem. Teufel treiben ihr Unwesen, und die bunte Menge der Tanzenden huldigt ihren neuen und alten Gottheiten, der Mutter Erde, Pachamama, und der Jungfrau Maria.

In Gualeguaychú in der suptropisch feucht-schwülen Provinz Corrientes ergreift das Karnevaltsreiben eine ganze Woche lang die Stadt, angereiste Portenos eingeschlossen. Schon Monate vorher haben die Sambaschulen der einzelnen barrios für den Auftritt im Sambodrom geübt. Politiker und sonstige Honoratioren wie der umstrittene Richter Noberto Oyarbide werden mit Spottversen begrüßt.

Wer aber ein wenig vom Flair des brasilianischen Karnevals mitbekommen will, braucht sich nur an das andere Ufer des Rio de la Plata einzuschiffen. Hier in der urugayischen Hauptstadt Montevideo, die sonst eher die verschlafene und ärmlichere Schwester von Buenos Aires gibt, geht es in diesen Tagen besonders hoch her. Wie in Brasiliens Bahia stammt der Karneval des argentinischen Nachbarlandes aus der Zeit der Sklaverei, als auch hierher schwarze Afrikaner importiert wurden, um auf den Feldern der Estancien zu arbeiten. So ist der Candombe mit seinen afrikanischen Rhythmen die Musik des urugayischen Karnevals geworden. Für 40 Tage ist das normale Leben außer Kraft gesetzt. Alles ist murga und Candombe.



Fotos: La Nacion vom 10., 14. und 15. 2. 2010

9. Februar 2010

Adieu, Simon Schott

Simon Schott, die Barpianistenlegende, ist tot. Bis in die letzten Wochen saß der fast Dreiundneunzigjährige am Flügel des Hotels Vier Vierjahreszeiten in München und spielte. Er war der eleganteste und einfühlsamste Barpianist und ein Causeur voller Menschlichkeit und leisem Humor. Mit der Jazzmusik war er aufgewachsen. Sie hat ihn wohl davor bewahrt, den deutschen Verführungen der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu erliegen. Später folgten Jahre in Frankreich, in Harrys New York Bar in Paris.

Im Zweiten Weltkrieg hatte Simon Schott die Weitsicht und den Mut, nicht den stramm national gesonnenen Helden zu spielen. Er zog das Flair von Paris dem Kommiss vor. Der Massanzug war ihm gemäßer als die Uniform. Und dennoch, der eingefleischte Zivilist brachte sich in Lebensgefahr, als er sich überreden ließ, pazifistische Flugblätter zu verteilen. Das ist nachzulesen in Schotts ohne alle Schwere und Selbstbeweihräucherung daher kommender Autobiographie "Kriegserinnerungen eines Überlebenskünstlers", ein Hohelied auf das Leben und auf die Frauen, denen er in Frankreich begegnet ist. 2009 wurde es bei Fischer als Taschenbuch neu herausgegeben.

Wenn wir in München waren, mein Mann, meine Töchter und ich, war die Bar des Vier Jahreszeiten unsere Anlaufstelle, zum Zuhören und für eine kleine Plauderei. Simon Schotts Platz an Piano wird nun leer bleiben. Wir sind traurig.

Servus und Adieu, lieber Simon Schott