11. August 2010

Brot und Arbeit

Als ich am letzten Sonnabend im Colectivo Richtung Süden von Buenos Aires fuhr, war es für einen Tag am Wochenende und noch dazu in den Winterferien, in denen alle Welt verreist ist, ungewöhnlich voll. An langen Stangen trugen viele der Mitfahrenden Ährenbündel. Aber es war doch nicht Erntedankfest?

Wir fahren nach Liniers, klärte mich meine Banknachbarin auf, heute ist der Tag von San Caetano. Ich komme aus Quilmes, verriet sie mir. Dort arbeitet die ungefähr Fünfzigjährige mit dem Indiogesicht als Hausangestellte. Ursprünglich ist sie aus der nordwestlichen Provinz Santiago del Estero, einer der ärmsten von Argentinien. Tausende strömten zusammen, um den Bittgottesdienst von Kardinal Bergoglio am Heiligtum von San Caetano in dem armen südlichen Vorort Liniers zu hören und zu dem Heiligen zu beten, der für Brot und Arbeit sorgen soll. San Caetano erfreut sich der größten Beliebtheit unter den auf besondere Wohltaten spezialisierten Heiligen, die in Argentinien verehrt werden, wie etwa San Expedito, der dafür zuständig ist, dass die Angelegenheiten des Gläubigen schnell und gerecht erledigt werden oder San Fanurio, der hilft, Verlorenes wiederzufinden.

Der argentinische Consejo del Salario Minimo wollte anscheinend an einem solchen Tag nicht abseits stehen, hatte er doch am Donnerstag davor beschlossen, den Mindestlohn von 1.500 Pesos auf 1.740 Pesos (ca. 335 €) anzuheben. Leider werden Wenige in den Genuss dieser weltlichen Wohltat kommen, denn gerade im unteren Sektor der Einkommenspyramide arbeiten die Meisten schwarz, und da gibt es keinen Mindestlohn.

5. August 2010

Die Brasilianer sind da!

Zu seinem großen Bruder im Osten hat Argentinien ein gespaltenes Verhältnis. Man hält sich für etwas Besseres, europäischer und eleganter als die in den Augen der Portenos ein wenig ungehobelt-munteren Brasilianer. An den herrlichen Stränden Brasiliens macht man gerne Sommerferien, stöhnt aber über den für Pesobesitzer immer teurer werdenden brasilianischen Real. Zugleich betrachtet man den wirtschaftlichen Aufstieg des Riesen Brasilien nicht ohne die bange Frage, was denn im eigenen Land schief gelaufen sei, so dass Argentinien immer weniger mithalten könne. Jetzt im argentinischen Winter begrüßt man gerne die Millionen brasilianischer Touristen, die Argentinien überschwemmen, auf der Suche nach Schnee zum Skilaufen und nach dem kulturellen Flair, das Buenos Aires ausstrahlt. Sie lassen nicht nur mehr Geld im Land, als nordamerikanische und europäische Touristen, sie sind auch weniger wählerisch, freuen sich die hiesigen Zeitungen. Schon zweimal wurde ich in diesen Tagen im weichen, ein wenig nuschligen Spanisch der Brasilianer nach dem Weg gefragt und gab stolz als 'Einheimische' Auskunft.

Immer mehr Argentinier suchen eine Beschäftigung im prosperierenden Nachbarland. Portugiesisch-Kurse sind gefragt, und Brasilien hat, neben Frankreich, das wohl schönste Stadtpalais als Botschaft. Dort zeigt es gerade einen besonderen Botschafter kühner Moderne und Großzügigkeit auf brasilianisch. In einer üppigen Schau wird das Lebenswerk von Oscar Niemeyer ausgebreitet, dem brasilianischen Stararchitekten, dessen Urahne Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Hannöverschen nach Portugal ausgewandert war. In einem Film kann man den Vater der brasilianischen Architektur des 20. Jahrhunderts erleben, der mit seinen 103 Jahren noch täglich arbeitet und voller neuer Projekte steckt, so für ein Stadion zur Fußball-WM 2014 in Brasilien. Auf Großfotos und in Modellen ist die Fülle seiner Bauten ausgebreitet, vor allem die Prachtmeile Brasilias, die in den fünfziger Jahren in weniger als einem Jahrzehnt aus dem Boden gestampft wurde und die bezaubernde fliegende Untertasse, als Museum für Moderne Kunst in Niteroi in der Bucht von Rio de Janeiro gelandet. Aus seinen europäischen Exiljahren stechen eine Moschee in Algerien und ein Kulturzentrum in Le Havre hervor.

Auch Argentinien soll sein Stück Niemeyer bekommen. In Rosario wird ein kühnes, blendendweißes Halbrund mit Segel am Rio Paraná festmachen, sobald die Finanzierung steht. Nur wenige Werke Niemeyers blieben Enwurf, darunter leider ein 2007 für Potsdam geplantes Schwimmbad.

Heiter gestimmt verlasse ich das Botschaftsgebäude an der so französisch anmutenden Plazoleta im Viertel Retiro. Die Schwünge von Niemeyers Bauten tragen mich hinweg, und der Plan, Brasilia zu besuchen, bekommt neue Nahrung.

Abbildungen aus dem Ausstellungsprospekt